Mit dieser Nummer und unter dieser Kolumne beginnen wir die Veröffentlichung der Erinnerungen des bekannten ARF-Veteranen André Ter Ohanian (A. Amurian). Dieser Band mit Erinnerungen, betitelt "Seiten des Lebens" und mit dem Vermerk "Von der Kindheit bis 1936", wurde uns vom ARF-Büro zur Verfügung gestellt. Aus publizistisch verständlichen Zwängen heraus veröffentlichen wir das Manuskript in Auszügen. Der Zeitraum dieses ersten Abschnitts ist der Winter 1917-1918.
Diese Kolumne, die die Veröffentlichung von Unveröffentlichtem oder die Neuaufwertung "Alter Seiten" anstrebt, wird eine ständige Präsenz im "Droschak" sein.
Ich blieb drei Tage im Haus meiner Tante mütterlicherseits in Tiflis liegen, dann stand ich auf. Von zwei Klassen des Gymnasiums waren zwei Abgeordnete für den Armenischen Schülerkongress gesucht worden, der in Baku stattfinden sollte; aus unserer Klasse hatten mich unsere Jungs gewählt, und aus der höheren Klasse Wardan Howhannisian (W. Astghuni), wir beide waren aus Täbris.
Ich sollte mich mit dem Sohn des Genossen Hamo Ohanjanian, Monia Ohanjanian, treffen, um nach Baku aufzubrechen. Ich ging zu Monias Haus. Man empfing mich herzlich; Monia war ein siebzehnjähriger Junge, gleichaltrig mit mir, hübsch, mit einem griechischen Profil, die Haare zur Seite gekämmt. Er war russischsprachig (von Hamos erster Frau, die Russin war). Er trug eine Uniform, wie sie für das Lisizian-Gymnasium typisch war. Monias Zimmer war sehr schlicht: auf dem Tisch einige Bücher und Hefte, in der Ecke ein, zwei Sportgeräte.
Wir sprachen Russisch; Monia sagte, ich und Wardan sollten nach Baku fahren, er würde auch mit seinen Freunden kommen.
Der Kongress begann. Die zentrale Figur war Monia; ebenfalls hervorstechend waren Jegia Tschubar und Amatuni* (1926-27 wurde er von den Bolschewiki nach Paris geschickt. Er redigierte die Zeitung "Jerewan" und griff die ARF an. Auch Amatuni wurde eine wichtige Figur im Sowjetischen Armenien. Am Ende unterzogen die Bolschewiki beide der "Liquidation"... A. A.). Als Tschubar eine Rede hielt, zitierte er sogar jene Zeilen aus A. Isahakjans Gedicht, wo es heißt: - "Tausend Jahre und noch mehr hat der Tatare auf unserer Brust gekniet". So sprachen sie, und am Ende wurden sie Bolschewiki.
Im Teil für Vorschläge ergriff ich das Wort und trug vor, dass die armenische Schülerschaft unsere Geschichte gut studieren, unsere Geschichtsschreiber lesen – Moses von Choren, Jeghische, Ghasar Parpezzi usw. –, unsere nationalen Forderungen verstehen und stolz auf unsere Vergangenheit sein solle.
Die Anwesenden klatschten Beifall, während die Älteren sich abschätzig verhielten. Eine ähnliche Haltung zeigten sie auch, als Grußtelegramme verschickt werden sollten; ich schlug vor, auch ein Telegramm an Etschmiadsin, an den Katholikos Aller Armenier, zu richten. Die Mehrheit war dafür.
Ein Grußwort sprach Simon Hakobian, der Redakteur der ARF-Organ-Zeitung "Arew" in Baku.
In den Pausen bewirteten uns armenische Mädchen mit Gebäck, Tee und Limonade. Sie sprachen Armenisch im Dialekt ihrer Eltern, gemischt mit Russisch.
In der Freizeit gingen wir zum Hafen von Baku. Zum ersten Mal sahen wir Wasserflugzeuge (Hydroplane), die ununterbrochen flogen.
Wir kehrten von der armenischen Kolonie in Baku nach Tiflis zurück. Die Lage an der Kaukasusfront war chaotisch: die russische Armee zog sich zurück wie eine kopflose Herde, sie machte sich "auf nach Hause". Der Nationalrat und die ARF waren dabei, nationale Truppenteile aufzustellen und an die Front zu schicken.
In jenen Tagen berief Monia Ohanjanian eine Schülerversammlung im Saal der Stadtverwaltung von Tiflis ein. Der Saal war voll. Hinter dem Tisch saß Monia; neben ihm der Student Hrand. Beide waren leidenschaftliche Patrioten.
Monia erklärte die politische Lage, rief dann dazu auf, sich als Schüler- und Studentenfreiwillige zu melden, um an die Front zu gehen. Wir alle stimmten zu und begrüßten Monias Vorschlag.
Es erschallte der Aufruf von Dr. Jakob Zawrijew an die Studentenschaft, sich als Freiwillige zu melden und an die Front zu gehen.
Mein enger Klassenkamerad Stepan Schahgeldian (aus Kischinjow) war für kurze Zeit nach Erzurum gereist und dann zurückgekehrt. Ich ließ mir von ihm über die Front und die Türkei-Armenien erzählen. Ich konnte nicht genug davon hören. Ich sagte zu Stepan, dass ich mich als Freiwilliger melde. Er sagte: - "Ich werde auch mit dir gehen, wieder an die Erzurum-Front." Ich war froh.
Die Freiwilligen wurden von Dr. Artashes Babalian registriert; als ich zu seinem Büro hinaufgehen wollte, traf ich Mouschegh Santrosian, einen Absolventen unseres Gymnasiums. Er beschwerte sich: "Bruder, was ist das für ein Mensch, dieser Babalian?" Sie hatten einen Streit gehabt und Santrosian war weggegangen.
Als ich eintrat, war Babalian auf dem Balkon und beobachtete das Treiben auf der Straße. Er kam und fragte, was ich wolle. Ich sagte, ich sei gekommen, um mich als Freiwilliger zu melden, ich sei vom Gymnasium.
- Wir werden dich nach Khnus schicken, zum Stab von Oberst Samarzew, als Schreiber. Du wirst monatlich hundertzwanzig Rubel bekommen...
Ich unterbrach ihn und sagte, ich melde mich als Freiwilliger, nicht als bezahlter Beamter...
- Warum, wird dich das Geld denn ein Loch in die Tasche brennen...?
- Ja, sagte ich, ein Beamter ist das eine, ein Freiwilliger etwas anderes...
Babalian gab nach, schrieb zwei Zettel aus, einen für die Waffenkammer, den anderen, um Kleidung und Schuhe vom Militärlager zu bekommen.
Die Stadt Sarighamish war einen Kilometer vom Bahnhof entfernt. Es gab kein Verkehrsmittel, um hinzukommen; wir mussten zu Fuß gehen; aber es war eine dunkle Nacht und gefährlich; russische (fahnenflüchtige) Soldaten konnten uns überfallen. In diesem Moment erschien, wie vom Himmel geschick, der Student Hrand bei uns. "Jungs!", sagte er, "stellt euch in zwei Reihen auf, ich werde hinter euch gehen. Ich habe eine Browning-Pistole, ich werde euch beschützen."
So machten wir es auch und rutschten und tappten im Dunkeln, bis wir zum Stab von Sarighamish kamen, wo uns der Hnchakian-Führer Pandukht empfing, der der Stabsleiter war.
Der sogenannte Stab bestand aus zwei geräumigen Läden, an den Wänden Kisten aufgereiht, in denen Dynamit und Bomben waren. Auch einige Gewehre, an die Wände gelehnt. Hinter den Läden war ein großer Hof, wie eine Karawanserei.
(...) Mit einem Militärlastwagen sollten wir nach Erzurum fahren. Zu uns gesellte sich die Frau des im Kaukasus bekannten ARF-Jugendführers Hibrith Tscholakhian, Aschchen Tscholakhian, die einen pelzgefütterten Militärparka und an den Füßen Sapogi (Stiefel mit langem Schaft) trug. Ihr Kopfhaar war kurz geschnitten; ihr Gesicht war nicht hübsch.
Sofort schloss sie sich Stepan und mir an; die Plane des Lastwagens wurde zugezogen, damit die Kälte nicht zu sehr eindrang.
Wer nicht in Westarmenien gewesen ist, kann sich keine Vorstellung vom frostigen Winter dort machen, 35-40 Grad unter Null, manchmal sogar mehr. Berge und Felder bedecken sich mit einer dicken Schicht aus Schnee und Eis. Die Oberfläche der Flüsse ist mit Eis bedeckt, die Menschen überqueren den Fluss zu Fuß und zu Pferd. Die Monate, die ich an diesen Fronten war, sah ich keine Sonne. Von Köprüköy bis nach Erzurum sahen wir nicht einen einzigen Baum. Einzig Sarighamish ist waldig, schön....
Die Kälte drang ein; innen war es auch schon kalt; die Wattierung in unserem Parka und in der Militärhose und -jacke half nichts, ebenso wenig die Wollstrümpfe.
Bevor wir Erzurum erreichten, mussten wir den Pass von Deveboynu überqueren. "Gott gebe, dass wir nicht in einen Schneesturm geraten, sonst werden wir unter dem Schnee begraben", sagten die Begleiter. Glücklicherweise verlief es gut und wir, erstarrt und müde, erreichten Erzurum, wo wir durch das Tor einer dicken Mauer Einzug hielten, deren Weg eine kurze Strecke bergauf führte.
Wir stiegen am Tor des Militärstabs von Erzurum ab. Kaum waren wir eingetreten, trafen wir unseren Aufseher vom Gymnasium, Jerwand Hajrapetian, der sich im Auftrag des Städtebundes mit der Waisensammlung beschäftigte. Er empfing uns liebevoll, war stolz darauf, dass sich die Schüler des Gymnasiums in großer Zahl als Freiwillige gemeldet hatten. Er sagte, wir sollten vorläufig im Militärschlafsaal schlafen und im Stab essen.
Wir gingen hinaus, um in der Stadt herumzulaufen. Schnee und Winter, Schlitten fuhren, von einem Pferd gezogen. Alles sah militärisch aus. Wir trafen unsere Klassenkameraden Jeghische Zarutian, Jerwand Zakarian, die Westarmenier Howakim Gulojian, Armenak Srapian, den aus Etschmiadsin stammenden Haikas Ghasarjan, den Achalzicher Howhannes Manukian, den aus Aschtarak stammenden Nahapet Kurghinian, alle aus unserer Klasse.
Am nächsten Tag führten uns unsere Kameraden, um die armenische Kirche und die Sanasarian-Schule zu sehen. Im Hof der Sanasarian-Schule sahen wir die Büste des Wohltäters Sanasarian. Die Armenier von Erzurum waren abwesend, die geplünderten, deportierten, zerstörten Einrichtungen und Häuser waren zur Behausung von Eulen geworden. Unser Herz blutete...
Wir hatten viel Freizeit; wir fragten die Jungs, womit sie sich beschäftigten; sie sagten, sie trieben meistens Schießübungen. Gerne schlossen wir uns ihnen an; wir hatten noch nie ein Gewehr abgefeuert.
Unsere Ausbildung verlief schnell, wir wurden gut im Zielen geschult.
Meine Sorge galt der Front. Die Front hatte eine Länge von tausend Kilometern, von Trabzon bis zur persischen Grenze; eine Tiefe von 300-400 km. Der zurückweichenden 300.000 Mann starken russischen Armee standen wir mit kaum 20-25.000 armenischen Soldaten, Fedajin und Freiwilligen gegenüber; das war eine sehr kleine Kraft gegenüber der mindestens 200.000 Mann starken türkischen Armee.
Unser Rückzug war also unvermeidlich.
In diesem Gedanken schrieb ich einen Brief an den Armenischen Nationalrat in Tiflis und schlug vor, einen Teil der Waffenlager in das Hinterland zu verlegen, damit sie nicht in die Hände unseres Feindes fallen. Ich erhielt keine Antwort. (Jahre später, in Täbris, als ich Nikol Aghbalian davon erzählte, sagte er: - "Stell dir vor, ich schlug dasselbe in Jerewan vor, dass ein Teil der Lager in die Gegend von Nor Bayazet, ins Hinterland, verlegt werden sollte, aber man hörte nicht auf mich").
(...) Östlich des Dorfes Köprüköy, kaum einen Kilometer entfernt, befindet sich die historische Brücke, unter der der Araxes fließt, in jenen Tagen mit Eis bedeckt.
(...) Ich ging oft allein dorthin, stellte mich auf die Brücke, überließ mich traurigen Gedanken, weil ich spürte, dass wir dieses unsere heimatliche Land eines Tages aufgeben müssten, weil wir die Kraft nicht hatten, und meine Tränen flossen...
Auf der anderen Seite der Brücke befand sich das ehemals armenische Dorf Yaghan, dessen gesamte Einwohner von den Türken massakriert worden waren. Auch die Armenier des Dorfes Köprüköy waren massakriert, die Häuser zerstört, sogar die Balken herausgerissen und fortgeschafft worden...
(...) Abends fehlten oft Zaghikian, der Lehrer und der aus Nerßisian stammende Junge Georg. Eines Tages fragte ich Georg, wohin sie gingen. Er verbarg es nicht: Er sagte, sie jagten türkische Spione im Hinterland; dann erzählte er Folgendes: - "Wir fingen einen riesigen türkischen Spion, er leugnete; wir durchsuchten ihn, fanden Briefe und Papiere bei ihm; er war ein Spion. Wir verlangten ein Geständnis, er weigerte sich; die Genossen schossen und verwundeten ihn an zwei Stellen; er kniete, fiel nicht um; er sagte: 'Macht ein Ende, damit ich Ruhe finde', ich trat an ihn heran und entleerte meine Pistole in seine Schläfe, er fiel, verendete....".
Ein anderes Mal, als davon die Rede war, sagte ich, dass man in solchen Fällen den Spion dem Militärtribunal übergeben und dann berichten müsse. "André, - sagte der Lehrer erregt, - aus meiner Familie haben die Türker fünfzig Menschen massakriert, das waren keine Spione. Du willst, dass wir einen türkischen Spion mit einem Tribunal 'erledigen'...?"
Eines Abends hielt ein Personenkraftwagen vor unserem Stab. "Es ist Andranik", sagten sie, wir waren alle außer uns. Die Ankommenden waren Andranik, Dr. Jakob Zawrijew, ein russischer General und Hamlik Tumanian (der Sohn von Howhannes Tumanian). Andranik hatte ich gesehen, als er über den Erewanian-Platz in Tiflis ging, Hamlik hatte ich im Georgianischen Gymnasium gesehen, wo er in eine Klasse über uns kam, ein Jahr blieb und dann nicht mehr kam.
Alle versammelten sich um Andranik, um zu sehen, was der Pascha sagt. Andranik hatte Gliederschmerzen, man heizte den Ofen gut an, legte auch eine warme Decke über seine Füße. Sie begannen zu plaudern; jedes Wort Andraniks wurde wie ein Gebot aufgenommen. Andranik sprach über die Verteidigung der Front, den Rückzug der russischen Armee, die schwere Lage, die für die Armenier entstanden war....
(Der Fall von Erzurum wird das Signal für den allgemeinen Rückzug geben. Mit der Welle zurückweichender Armeeangehöriger und der Bevölkerung nähern sich die jungen Freiwilligen der russisch-türkischen Vorkriegsgrenzlinie und Sarighamish).
Wir gingen durch den Schnee, bergauf, bergab, durch Schneestürme und Unwetter; schließlich erreichten wir die Gegend von Karaurgan. Es waren nur noch etwa 200-300 Schritte bis zum Waffenlager, als wir, erschöpft, auf den Schnee fielen und einschliefen...
Jemand schüttelt uns: "Jungs! Ihr werdet hier erfrieren, steht auf, lasst uns gehen...". Es war ein junger armenischer Soldat, der unseren sehr süßen Schlaf unterbrach. Er nahm uns unter den Arm und zog uns fast zum Waffenlager.
Das Waffenlager war warm; die armenischen Soldaten gaben uns zu essen. In Sarighamish wussten wir nicht, wo wir unterkommen sollten, als uns Howhannes Giulnasarjan, ein Student einer oberen Klasse des Gymnasiums, entgegentrat und uns zu seiner Unterkunft im Waffenlager führte. (...) Genau auf beiden Seiten des Stabseingangs waren zwei Pferde erfroren, erstarrt zu aufgerichteten Statuen... Ein Bildhauer hätte keine gelungenere Arbeit vollbringen können, als die Natur es getan hatte. In jenen Tagen irrten die armen Pferde, verlassen von Truppe und Nahrung, abgemagert, hungernd in den Straßen umher und brachen irgendwo zusammen, verendeten....
Wir waren in der Nähe des Stabs und bewunderten die erstarrten, aufgerichteten Pferde, als Monia Ohanjanian und der Student Hrand erschienen. Wir sprachen über die Lage; ich äußerte Unmut über den Rückzug und die Unfähigkeit der Führung, die keinen Widerstand organisiere. Monia sagte, dass es in Erzinka Widerstand gegeben habe und dass Hrand auch verwundet worden sei. Später erfuhr ich, dass Monia für den Kampf in Erzinka eine Auszeichnung erhalten hatte, aber das sagte er mir selbst nicht.
Ich wurde sofort milder. "Schwer?", sagte ich und erfüllte mich mit Respekt für Hrand; "Wo wurde er verwundet?", fragte ich. Hrand zeigte auf seinen rechten Oberschenkel; die Einschussstelle war noch auf der Hose.
- Monia, kann ich auch bei euch sein? - fragte ich.
- Das hängt von der Anordnung des Stabs ab, - sagte Monia.
Ich trat in den Stab. Jeghische Zarutian war dort; er kam auf mich zu und sagte: "Mir und dir wird aufgetragen, die Waffen der Partei von Sarighamish nach Kars zu transportieren."
Einen, zwei Tage später ordneten wir die Waffen auf dem Boden eines Wagens an, füllten reichlich trockenes Heu darüber und brachen zu viert nach Kars auf.
(...) In Kars übergaben Jeghische und ich die Waffen der Partei dem Vertreter Valad Valadean. Soldaten, Flüchtlinge, die beunruhigende Lage der Einheimischen; wir wussten nicht, ob Kars den türkischen Angriffen standhalten würde...?
Wir meldeten uns beim Stab; man sagte uns, wir sollten nach Alexandropol gehen, der Stab würde dort verfügen.
In Alexandropol hörten wir, dass die Türken Sarighamish erreicht hatten. Unsere Seele war düster; würde Kars wohl standhalten? Wenn nicht, dann müsste Alexandropol an der Reihe sein. Und dann? Alexandropol war ein Knotenpunkt – nach Süden nach Kars, nach Norden nach Karakilise und Tiflis, nach Osten der Weg nach Jerewan... Der Türke strebte danach, auch die Ostarmenier zu massakrieren und zu vernichten, den Weg nach Baku frei zu machen, um die Ölquellen in Besitz zu nehmen, das panturanische Kaiserreich zu verwirklichen.
An der Station Schamchor hatten die lokalen Tataren die zurückweichende russische Armee überfallen und massakriert; fortan bahnte sich die zurückweichende russische Armee mit auf den Waggons postierten Maschinengewehren den Weg nach Baku und dann nach Russland.
Die Desertion der armenischen Soldaten machte uns wütend. Den russischen Soldaten kümmerte es nicht, er verließ die Front und ging nach Hause. Aber der Armenier? War denn "Hannibal vor unseren Toren"? Aber es gab Fedajin und Soldaten, die bereit waren, ihr Leben zu opfern, und das war unser Trost.
Wir meldeten uns beim Stab in Alexandropol; auch hier sagte man uns, wir sollten warten, bis sie verfügten.
Wir hörten, dass Andranik mit seinen Soldaten und einer Gruppe westarmenischer Flüchtlinge nach Alexandropol gekommen sei. Dann hörten wir, dass er vom Stab Waffen und Munition verlangt habe, man habe sie ihm nicht gegeben, da habe er ein Waffenlager öffnen lassen und Waffen an sich genommen. Später erfuhren wir auch, dass Andranik mit seiner Gruppe nach Karakilise aufgebrochen war.
Wir erhielten die Nachricht, dass Kars gefallen sei UND die Türken rücken auf Alexandropol vor.
Als wir uns beim Stab meldeten, wies man uns an, nach Karakilise zu gehen. "Warum bleiben wir nicht hier, die Türken rücken vor, wir werden kämpfen", sagte ich. "Man braucht euch in Karakilise mehr", sagte man. "Stepan, - wandte ich mich meinem Gefährten zu, - sie schonen uns, wegen unseres Alters." "Was sie anordnen, tun wir", sagte Stepan.
Ich war früher mit der Bahn durch Karakilise gefahren, und jedes Mal war die Luft feucht, oft regnerisch.
Wir meldeten uns auch dort beim Stab. "Wir setzen euch an den Telefonen ein", sagte man. "Wir sind bereit, in den Reihen zu kämpfen, wir haben Gewehrübungen gemacht", sagte ich. "Wisst ihr, junge Männer, die Fedajin und die Soldaten beherrschen weder regulär Armenisch, noch auch nur ein wenig Russisch. Ihr aber beherrscht beides, daher seid ihr geeignet für das Telefon. Das Telefon auf dem Schlachtfeld ist ebenso wichtig, vielleicht sogar mehr, als die Rolle eines einfachen Soldaten", sagte der Beamte und entwaffnete uns mit seiner Argumentation.
Die Ereignisse entwickelten sich mit atemberaubender Geschwindigkeit. Wir erfuhren, dass Andranik in das Dorf Dsegh aufgebrochen war, die Türken sich Alexandropol näherten; Flüchtende, Vertriebene. Karakilise wimmelte von desertierenden Soldaten, Menschenmengen von Bauern; alle waren düster, besorgt. Wir erfuhren, dass General Nasarbekow zum Kommandanten dieser Front ernannt worden war, russischsprachig, aber ein leidenschaftlicher Patriot und mit Kampferfahrung ausgestattet. Und dass General Nasarbekow Andranik vorgeschlagen hatte, am Kampf teilzunehmen, aber Andranik angeführt hatte, dass er nicht genug Munition habe. Es wurde gesprochen, dass Andranik fast zweitausend Kämpfer habe.
Und siehe da, am 24. Mai hallten die Berge und Wälder von Karakilise wider vom Donnern der Gewehre, Maschinengewehre und Kanonen. Wir, am Telefon, befanden uns im Rücken der Kämpfer und übermittelten die gegebenen Befehle zu den nummerierten Höhen. Wir waren äußerst vorsichtig, die Befehle genau zu übermitteln.
Das Ziel der Türken war es, zunächst die Eisenbahnlinie einzunehmen. Unsere Stellungen befanden sich sowohl links als auch, besonders, rechts der Eisenbahnlinie. Nachts ließ der Kampf etwas nach, aber in unsere Augen kam kein Schlaf; wir schlummerten, wachten plötzlich auf, griffen zum Gewehr.
Wir hörten, dass die Türken Truppen auf der Eisenbahnlinie in Richtung Schamchor-Baku durchgebracht hätten; aber unsere Leute hielten die Stellungen rechts der Eisenbahnlinie fest. Drei Tage dauerte diese Aufregung, Erde und Himmel dröhnten. Die armenischen Fedajin und Soldaten kämpften tapfer; es war ein Kampf auf Leben und Tod.
Es gingen Gerüchte um, dass unsere Leute an den Fronten von Bash Abaran und Sardarapat Erfolge gehabt hätten, die Türken ihren eigentlichen Zielen nicht erfolgreich gewesen seien... Die Nachrichten wurden allmählich sicherer, es entstand Begeisterung.
Aber soweit ich weiß, kann die Schlacht von Karakilise nicht als vollständiger Sieg betrachtet werden, weil es den Türken gelungen war, Truppen in Richtung Baku durchzubringen.
Nach der Schlacht von Karakilise erfuhren wir mit großem Kummer, dass unser unvergleichlicher Monia Ohanjanian an den vordersten Linien gefallen war... Die ganze Nacht konnte ich kein Auge zutun; ich erinnerte mich an meine erste Begegnung mit ihm in Tiflis, dann auf dem Schülerkongress in Baku; dann wieder in Tiflis, im Saal der Stadtverwaltung, als Monia zum Freiwilligen-Melden aufrief; dann in Sarighamish, vor dem Stab, unsere letzte Begegnung....
Ich reichte meine Zeugnisse des "Georgianischen" Gymnasiums und der Prager Universität der Sorbonne mit einem Antrag ein. Eine Woche später wurde meine Bewerbung angenommen.
Das Zeugnis des Gymnasiums war an allen europäischen Universitäten sehr angesehen und viele Armenier in Europa erhielten ihre universitäre Ausbildung, wie zum Beispiel die Gymnasiumsabsolventen Vahan Sorerian (Absolvent der Berliner Universität), Arschak Dschamaljan ebenfalls, Awedis Aharonian aus der Schweiz; Ruben Ter Minasian aus der Schweiz und viele andere.
Mit besonderer Freude begann ich, die französische Sprache zu lernen und versäumte insbesondere die Vorlesungen des bekannten Ökonomen-Kooperativisten Charles Gide nicht.
Awedis Aharonian hatte für mich ein Stipendium von einem armenischen Privatmann namens Dikran Chan Këlekian erwirkt.
Aharonian hatte tatsächlich eine besondere Zuneigung zu den Persisch-Armeniern.
- André, - sagte Aharonian eines Tages, du wirst mein persönlicher Sekretär sein, du weißt, dass meine Handschrift fast unleserlich ist, ich brauche jemanden, der klar schreibt, ich werde diktieren, du wirst mitschreiben.
Und so geschah es. Er erzählte über Andranik, ich schrieb auf. Später lektorierte ich seinen Band "Mein Buch".
Aharonians Frau, Nuard, war die Schwester des Genossen Mikayel Varandean. Ihr erster Ehemann, Schamaharan, war in Schuschi während der armenisch-türkischen Auseinandersetzungen getötet worden. Aharonian hatte aus erster Ehe drei Söhne: Wardges (war in Amerika Redakteur und Aktivist), Wurik und Babik. Diese beiden waren begabte Jungs, aber ungehorsam. Sie beherrschten Armenisch, Russisch, Französisch, und Babik auch Englisch. Eine Zeitlang begann Aharonian, sich mit Englisch zu beschäftigen, sagte:
- Mein kleiner Bengel hier, Babik, es gibt kein Wort, das er nicht kennt. Von ihm frage ich nach Wörtern.
Aharonian hatte eine Zwei-Zimmer-Wohnung, eines das Schlafzimmer, das andere Wohn-Esszimmer. Es waren kleine Zimmer, daher lebten die beiden Jungs in gemieteten Zimmern. Die Miete für ihre Zimmer brachte und bezahlte ich, Aharonian sagte:
- Wenn ich es ihnen in die Hand gebe, geben sie es aus, sobald sie rausgehen...
Wardges Aharonians Frau war die Dichterin Armenuhi Dighranian-Aharonian.
Von Aharonians Literatur war ich schon als Schüler fasziniert. Sein schönes und vollendetes, reiches Armenisch hat mein Armenisch beeinflusst. Ich hatte mehrmals sein Buch "In Italien" gelesen, das eine reiche, fesselnde Beschreibung der historisch wertvollen Orte und Denkmäler Italiens ist. Als ich ihm das sagte, sagte er:
- Stell dir vor, ich habe dieses Buch im Laufe von zwei Wochen geschrieben.
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Aharonian erzählte, dass Ischchan schwer krank sei und sehr abgemagert; sein Herz sei krank. Wir beschlossen, ihn zu besuchen; er lebte in der Vorstadt Chaville.
Als wir die Straßenbahn betraten, richteten sich die Blicke aller Franzosen auf Aharonian, so eindrucksvoll sah er aus; wenn er sprach, hatte er eine tiefe Stimme und bildete schöne Sätze. Er sah typisch armenisch aus. Wenn ich ihn ansah, stellte ich mir Wardan Mamikonjan vor; jener war ein Mann des Schwertes, Aharonian ein Mann der Feder, beide leidenschaftliche Patrioten, ausgezeichnete Armenier, mit aristokratischen Zügen.
Als wir zu Ischchan gingen, bereitete mich Aharonian vor, indem er sagte:
- Stell es dir so schlimm vor, wie du kannst, damit du nicht überrascht bist.
Als wir das Zimmer betraten, war ich einfach schockiert....
Von dem stattlichen Ischchan war nichts geblieben; ein Haut-und-Knochen-Gerippe. Wie ein Küken saß er in seinem Bett. Aharonian sah mich an, sah, dass ich sehr bewegt war, und begann, Ischchan zu beschäftigen, damit ich mich etwas beruhigen konnte. War das wirklich der Ischchan von Chanassor... das ungerechte Leben.
- Ischchan, - sagte Aharonian, - unser junger Genosse André wollte dich besuchen, er hat sich jetzt in Paris niedergelassen.
Ischchan lächelte zufrieden, - ich danke dir, - sagte er. Dann fragte er nach meinem Onkel Smbat Melik Wardanian, der im diplomatischen Korps in Teheran gewesen war. Ich sagte, er sei in Teheran, habe jetzt eine Bäckerei eröffnet.
Bis heute sehe ich Ischchan vor mir... abgemagert, skelettiert, in seinem Bett zusammengekauert.
Kaum einen Monat später starb Ischchan. Bei der Beerdigung sagte seine Frau, Ischchanuhi (Satenik, Zaghig), weinend: "Ich schickte ihn vor die Kugeln, da hatte ich keinen Schmerz. Ischchan! Musstest du so sterben, wohin gehst du?" Ich sah, dass Genosse Arschak Dschamaljan hemmungslos weinte. Wir alle weinten bereits angesichts des Todes des hingebungsvollen Fedaji, des leidenschaftlichen Patrioten.
Eine andere Tragödie war, dass das Grabgrundstück für sechstausend Franken gekauft worden war; nach ein paar Jahren müsste das Land erneut gekauft werden, andernfalls würde man einen anderen Toten auf diesen Sarg begraben.... Was für ein Gesetz, und das auch noch in einer Vorstadt wie Chaville.
Die Grabrede hielt Dschamaljan im Namen des Büros, am Ende brach er in Tränen aus.
Ich hatte gelesen, dass als Ischchan und eine Gruppe Fedaji im Kloster Derik belagert wurden, Ischchans Frau Zaghig (Satenik) die Gewehre der Fedaji lud, und jetzt sah ich, dass ihre Schuhspitze abgenutzt war und der Zeh herausschaute... Ich erlebte auch meine eigene Tragödie durch diesen Anblick. Dies ist das Ende eines armenischen Revolutionärs, dachte ich, und meine Überzeugungen festigten sich in mir weiter. Würde ich nicht nach Armenien gehen? Der armenische Revolutionär ist mit jeder Lebensschwierigkeit und dem Gedanken an den Tod versöhnt.
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Nach dem 10. Allgemeinen Kongress hatte das Büro Dr. Armenak Melik Barseghjan beauftragt, die von Armenern bewohnten Städte Frankreichs zu bereisen, Parteimitglieder zu registrieren, Komitees zu bilden, damit ein Regionalkongress einberufen und ein Zentralkomitee gewählt werden könne. Bis dahin gab es kein Zentralkomitee.
In der Sitzung des Pariser Komitees wurde ich als Delegierter für den Regionalkongress gewählt.
Die Delegierten des Regionalkongresses waren: Arschak Dschamaljan (vom Büro), Dr. Armenak Melik Barseghjan, Vahagn Krmojan, Papasan, Vahan Hambardsumjan (ehemaliger Gymnasiumsabsolvent), Hrand Samuël, Benik Miltonjan, Schatikjan (aus Marseille), Abo (Baghdasar) Abojan, Andranik Ter Ohanjan, Grigor Dsamojan und drei, vier andere Genossen, an deren Namen ich mich nicht erinnere.
Unter diesen Genossen war der Unangenehme Abo Abojan, der den Eindruck eines schmeichlerischen Juden machte, immer mit einem süßlichen Lächeln im Gesicht. (Er war es, der später die sogenannte "Martkozakan"-Bewegung startete, die sektiererischen Charakter trug und mit ihrer Schande endete; dazu später).
Die Tagesordnungspunkte, die das Organisationsleben und die Organisation der armenischen Kolonie betrafen, wurden mit entsprechenden Resolutionen gelöst. Dann kam die Wahl des ersten Zentralkomitees für Westeuropa.
Ein fünfköpfiges Gremium wurde gewählt: Vahagn Krmojan, Benik Miltonjan, Abo Abojan, Hrand Samuël, André Ter Ohanjan.
Unmittelbar nach dem Kongress fand die erste Sitzung des Zentralkomitees statt, zum Vorsitzenden wurde Vahagn Krmojan gewählt; Genosse Dschamaljan schlug für das Sekretariat meine Kandidatur vor; als ich begann, Notizen von der Sitzung zu machen, erhob Abojan Einspruch, dass ich Ostarmenisch schreibe, die Protokolle müssten in Westarmenisch verfasst werden. Er war ein Spalter, daher lehnte ich entschieden ab; zum Sekretär wurde Genosse Hrand Samuël ernannt.
Nach zwei, drei Sitzungen trat Vahagn Krmojan aus dem Zentralkomitee zurück; als ich ihn unter vier Augen nach dem Grund fragte, sagte er: "Ich kann mit diesem Abojan nicht zusammenarbeiten..." Zum Vorsitzenden wurde Abojan ernannt, und an Krmojans Stelle wurde der Kandidat Vahan Hambardsumjan eingeladen.
In jenen Jahren provozierten die armenischen Bolschewiki in Paris und der Provinz Unruhen, um unsere Versammlungen zu stören. Genossen erzählten, dass man in Paris versucht habe, eine unserer Versammlungen durch Zwischenrufe und das Verteilen von Flugblättern zu stören, als Ardsch Bedros allein gegen sie antrat und sie mit seiner enormen Kraft packte und wie Säcke die Treppen des Saals hinunterwarf... Einer dieser Störversucher war der ehemalige Hnchakian Aschot Badmagerjan, den Ardsch Bedros ebenfalls hinunterwarf. Die Versammlung fand statt, und danach hat man in Paris nicht mehr versucht, unsere Versammlungen zu stören.
Als regionalen Aktivisten für das ZK Westeuropas gewannen wir Mesrop Gujumdschan, der ein langer und geschmeidiger Redner war.
- Wenn die Bolschewiki auch in der Provinz versuchen, unsere Versammlungen zu stören, müssen wir uns verteidigen, zurückschlagen, - sagte Benik Miltonjan verärgert.
In jenen Jahren gaben die Bolschewiki eine Zeitung namens "Jerewan" heraus, deren Redakteur aus Armenien Jegia Tschubar geschickt worden war, mit dem ich am Schülerkongress in Baku teilgenommen hatte. In jenen Tagen hatte E. Tschubar eine seiner Reden mit "Tausend Jahre und noch mehr hat der Tatare auf unserer Brust gekniet" (von A. Isaakjan) begonnen, und jetzt war er nach Paris gekommen, um Internationalismus zu predigen. Ich wollte ihm nicht begegnen. Die Zeitung "Jerewan" hetzte und spaltete die armenische Kolonie.
Wir schickten herausragende Genossen in die Provinz, um Vorträge zu halten. Für unsere Versammlung, die am 2. Mai 1926 in Lyon stattfinden sollte, schickte das Zentralkomitee auf Beschluss des ZK Genossen Awedis Aharonian in die Stadt Lyon. Am 2. Mai kaufte ich eine französische Zeitung, stieg in die Metro. Als ich die Zeitung durchsah, fiel mir eine Meldung in großen Buchstaben auf:
Lyon: - Blutiger Zusammenstoß - Tumult unter Armeniern...
Sofort ging ich zur Delegation der Republik, berichtete, was geschehen war, und zeigte die Zeitung; ich bat Genosse Chatisjan durch den Sekretär Artawasd Hanemjan, Verbindung mit unseren Genossen in Lyon aufzunehmen und den Vorfall zu erfahren. Telefonisch informierte ich die Genossen des Zentralkomitees und eilte selbst zu Aharonians Wohnung. An der Tür traf ich Genossen Mikayel Varandean, zeigte ihm die Zeitung und sagte, ich sei im Büro der Delegation gewesen und habe gebeten, telefonisch Verbindung mit Lyon aufzunehmen. Varandean sagte: "Gehen wir hinauf. Aber Nuard soll nichts von dem Geschehen erfahren, warten wir auf Awedis."
Wir gingen hinauf zu Frau Nuard. Kurz darauf schien sie an unseren besorgten Gesichtern etwas zu bemerken. Sie fragte:
- Ihr seht traurig aus, was ist passiert?
Varandean sagte: "Nichts, Awedis soll heute kommen, wir sind gekommen, um ihn zu sehen"...
Gegen Abend kam Aharonian, seine linke Wange blau geschlagen... Varandean stürzte auf ihn zu, umarmte ihn, begann ihn zu küssen. Als Frau Nuard Aharonians blau geschlagenes Gesicht sah, rief sie aus: - Awedis! Was ist passiert?
Aharonian begann zu erzählen:
- Wisst ihr, wir hatten eine Versammlung in Lyon. Stellt euch vor, die armenischen Bolschewiki hatten Marokkaner, Algerier, italienische Kommunisten mitgebracht, einen Teil auf die oberen Logen geschleust, den anderen Teil in den Eingang des Saals. Als ich die Bühne betrat und zu sprechen begann, schrie dieses Element: "Nieder mit dem Faschismus!", dann stürzte einer von ihnen auf die Bühne und griff mich an, schlug mir mit der Faust auf die linke Wange. Einen Augenblick lang ging meine Hand in die Tasche (Aharonian hatte einen kleinen Browning. A.A.), aber ich beherrschte mich. In diesem Moment stürzten einige unserer Jungs auf die Bühne und begannen, den Fremden, der mich angegriffen hatte, zu verprügeln und von der Bühne zu holen. Einige andere umringten mich, um mich vor einem weiteren Angriff zu schützen.
Der Saal geriet in Aufruhr, die sitzenden Zuschauer begannen, das bolschewistische Gesindel hinauszuwerfen, und vor der Saaltür kam es zu Auseinandersetzungen mit etwa zweihundert Personen. Unsere Leute verpassten den fremden Angreifern eine solche Tracht Prügel, dass sie mit zerrissener Kleidung die Flucht ergriffen. Die Wut der Menschen über diesen feigen Angriff war groß.
Varandean stand wieder auf, küsste Aharonians verletzte Wange und sagte: "Du kannst dir nicht vorstellen, wie besorgt André und ich waren, wir haben Nuard auch nichts gesagt, damit sie sich nicht sorgt."
Am selben Abend hatten wir eine Sitzung des Zentralkomitees. Während des Zusammenstoßes in Lyon hatte die Polizei sieben unserer Genossen festgenommen. Während des Zusammenstoßes war ein junger Bolschewik namens Baghdasarian getötet worden (die Zeitung "Jerewan" machte viel Lärm um den "Arbeiter Baghdasarian"). Sie beachteten nicht, dass die Mehrheit der Zuschauer Arbeiter waren.
Es wurde beschlossen, dass Genosse Hrand Samuël, als mit Gerichtssachen vertraut und Anwalt, nach Lyon reisen sollte, um einen französischen Anwalt anzuheuern und unsere Genossen aus dem Gefängnis zu befreien, und man schickte auch mich, um die Genossen zu ermutigen und die Moral zu heben.
Hrand Samuël reiste nach Lyon ab, einen Tag später reiste auch ich ab. Die Genossen hatten sich in einem Zimmer im Obergeschoss versammelt; als ich eintrat, standen alle auf und riefen einstimmig: "Es lebe die A.R.F!"... Die Moral war hoch. Ich sprach über den feigen Angriff, an dem die armenischen Bolschewiki Ausländer beteiligt hatten; aber so wie sie in Paris eine Lektion erhielten, so auch in Lyon, und fortan würden sie zur Vernunft kommen. Die armenischen Massen sind bei der Föderation, die Versammlung in Lyon bewies das.
Meine Worte wurden mit stürmischem Applaus aufgenommen. Während meiner Rede sah ich, dass Hrand Samuël sich in das Nebenzimmer zurückzog; als ich ihn später nach dem Grund fragte, sagte er, er müsse mit dem Gericht und vielleicht der Polizei verkehren, um die Genossen zu befreien; daher könnte seine Anwesenheit in dieser Versammlung zu Unannehmlichkeiten führen... Hrand war sehr vorsichtig.
Die Polizei entließ die inhaftierten Genossen einige Tage später gegen Kaution; den Urheber der Tötung konnte man nicht finden.
Nach diesem Vorfall getrauten sich die Bolschewiki nicht mehr, unsere Versammlungen auch in der Provinz zu stören.
In jenen Tagen war der Dichter Awetik Issahakjan aus Armenien für eine HOK-Angelegenheit nach Paris gekommen. Die Ramkavar hatten ein Rundschreiben wegen des Vorfalls in Lyon verfasst und die Schuld Awedis Aharonian zugeschoben; das Rundschreiben hatte auch Awetik Issahakjan unterschrieben... Als Aharonian gefragt hatte, warum er unterschrieben habe, hatte Issahakjan geantwortet: "Ich habe nicht gelesen, was geschrieben stand, man sagte, unterschreib dieses Rundschreiben"...
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Wir aßen im Restaurant "Prix Fixe" auf dem Boulevard Saint-Michel. Das Essen kostete 3.50 Franc, Brot war unbegrenzt. Manchmal kam ein Persisch-Armenier nach Paris, ich führte ihn in Museen, Ausflugsorte, und immer gab ich das Geld aus; danach aß ich einige Tage auf der Straße eine aus Pferdefleisch hergestellte Saucisson (Würstchen), die im Stehen verkauft wurde.
Eines Tages am Abend, als wir den ganzen Tag nichts gegessen hatten, gingen ich und ein Genosse den Saint-Michel hinunter; als wir am "Café de la Source" vorbeikamen, rief uns Awedis Aharonian, der an einem Tisch vor dem Café saß, zu und sagte:
- André, eure Gesichter verraten, dass ihr heute nichts gegessen habt. Stimmt das...?
- Es stimmt... sagte ich.
- Kommt, setzt euch, - sagte Aharonian und bestellte sofort Kaffee mit Milch und Croissant für uns.
Tagsüber beschäftigte ich mich mit dem Besuch von Vorlesungen, nachmittags war ich in der Bibliothek. Ich las gierig. Etwas oberhalb des Saint-Michel gab es auch eine russische Bibliothek, in der, wie es hieß, auch Lenin verkehrt hatte. Sowohl die französische als auch die russische Bibliothek waren sehr reichhaltig. Abends las ich in meinem Zimmer. Wer mich sehen wollte, wusste, dass er mich in der Bibliothek finden würde.
In der französischen Bibliothek fasste ich den ersten Band von Karl Marx' "Das Kapital" auf hundert Seiten meines Hefts zusammen. Ich las Schriften über die Anarchisten Krapotkin und Mikhail Bakunin. Die Werke des österreichischen bekannten Theoretikers-Sozialisten Otto Bauer, des Deutschen Eduard Bernstein, E. David, der italienischen Anarchisten Cafiero Carlo, Costa, Malatesta. Und die französischen Sozialisten hörte ich während ihrer öffentlichen Vorträge und Reden, meist mit meinem lieben Freund, dem Schriftsteller Wasgen Schuschanian.
Manchmal drangen Mitglieder linker oder rechter Fraktionen in den Saal von Sozialisten-Vorlesungen ein, lärmten, störten, einmal zerschlugen sie sogar die Spiegel und Scheiben des Saals. Ich packte Wasgen Schuschanian am Arm und brachte ihn aus dem Saal, indem ich sagte: "Wir Armenier haben schon viele Verluste erlitten, wir müssen hier keine weiteren erleiden." Wasgen lachte auf seine eigene Weise und wir verließen den Saal.
Wir saßen eines Tages im "Café de la Source" – Hampartsoum Grigorian, Wasgen Schuschanian und ich –, als der Dichter Wostanik atemlos hereinkam und sagte: "Der Schriftsteller Kostan Zarian ist mit Frau und Tochter aus Brüssel nach Paris gekommen, sie sitzen hungernd in ihrem Hotelzimmer. Gebt mir ein paar Franken, ich kaufe Brot und Käse und bringe es ihnen, sie tun einem leid. Zarian ist ein großer Intellektueller, in der Vergangenheit arbeitete er mit Siamanto und D. Varuzhan in Konstantinopel zusammen...". Wir waren betroffen, jeder von uns gab Wostanik ein paar Franken, er ging.
In den folgenden Tagen begann auch K. Zarian, unser Café zu frequentieren; wir lernten uns kennen, eines Tages stellte ich ihm eine Frage:
- Herr Zarian, wie kam es, dass Sie aus Armenien kamen und nicht zurückkehrten? Er erzählte Folgendes:
- Wissen Sie, ich war als Universitätsdozent nach Armenien eingeladen worden. Einmal fuhr ich nach Tiflis, bei der Rückfahrt in meinem Abteil begannen einige armenische Reisende, sich über ihre schwierige wirtschaftliche Lage zu beklagen. Als der Zug den Bahnhof von Alexandropol erreichte, stiegen einige Tschekisten in den Zug, verhafteten die Reisenden in meinem Abteil, brachten sie vom Zug runter und ins Gefängnis. In diesem Moment beschloss ich, die Sowjetische Armenien in Richtung eines freien Landes zu verlassen, und es gelang mir, ich kam nach Europa.
Wir waren nicht in der Lage, jedes Mal Geld zu geben, damit K. Zarian essen konnte; daher sagte ich eines Tages zu Wostanik:
- Frag ihn, ob er einverstanden wäre, wenn ich vermittle, dass Kostan Zarian für unsere Monatszeitschrift "Hayrenik" in Boston schreibt und ein Honorar erhält.
Wostanik hatte mit ihm gesprochen, kam und sagte: Er ist einverstanden.
Ich ging sofort zu Aharonian, erzählte den Vorfall und bat ihn, an den Chefredakteur der "Hayrenik", Genosse Ruben Darbinian, zu schreiben und um Zustimmung zu bitten. Die Monatszeitschrift "Hayrenik" zahlte den mitarbeitenden Intellektuellen ein Honorar von zwanzig Dollar im Monat, was K. Zarian retten würde.
Aharonian schrieb sofort einen Brief, auch er war betroffen.
Kaum zwei Wochen waren vergangen, als ein Brief von Ruben Darbinian eintraf; er hatte an Aharonian geschrieben, dass er gerne Kostan Zarians Mitarbeit annehme.
Ich selbst teilte dies Kostan Zarian mit, der sehr zufrieden war. Er begann zu schreiben.
In der Zeitschrift "Hayrenik" begannen Kostan Zarians "Die Bank und der Knochen des Mammuts", "Länder und Götter" zu erscheinen, die großes Interesse weckten. Später, Material aus Rubens Erinnerungen schöpfend, schrieb er "Die Braut von Tatragom" und anderes.
In Paris war der bolschewistische Simonik Pirumian der Handelsvertreter des sowjetischen "Torgpred". Bei ihm verkehrten Hamlik Tumanian (der Sohn von Howh. Tumanian), der von London nach Paris gezogen war, und Aschot Badmagerjan, der von Berlin hergezogen war.
Wir bemerkten, dass Wostanik und Jegische Aiwasean begannen, verschwenderisch Geld auszugeben; Jegische hatte einen Chapeau-Hut für hundertzwanzig Franc gekauft, was für einen arbeitslosen Mann sehr viel Geld war. Dasselbe auch Arpiar Aslanian (von den exilierten Studenten) und seine Frau, die Schriftstellerin Lasso, die "links" war...
Eines Tages sprach ich mit Hampartsoum über meinen Verdacht; ich sagte, dass Genosse Haik Asaturean mir in Prag erzählt habe, dass er, als er in Berlin war, erfahren habe, dass einige armenische Studenten Geld von den Sowjets erhielten – unter der Bedingung, nach dem Studium nach Armenien zu gehen, und er nannte sogar den Namen Grigor Ter Andreasjan, der zu meinen Klassenkameraden im Gymnasium gehörte.
Hampartsoum bestätigte meinen Verdacht.
Eines Tages erzählte mir Hampartsoum, er sei Hamlik Tumanian auf der Straße begegnet, dieser habe gesagt, den Studenten würden zwanzig Dollar im Monat gezahlt, "aber dir und André werden wir fünfzig Dollar zahlen. Sprich mit André."
Ich war wütend, dass man mich zum Handelsobjekt machen wollte; dass man meine Überzeugungen missachtete. Ich sagte zu Hampartsoum, er solle ein Treffen mit Hamlik vereinbaren.
Hampartsoum vereinbarte ein Treffen, wir trafen uns in einer Straße in der Nähe des "Luxembourg"-Gartens.
- Sag mal, Hamlik, was wolltest du sagen? - sagte ich.
Hamlik begann, auf negative Weise über die Republik Armenien zu sprechen, als er hinzufügte, dass die Daschnakzagan-Minister.... Mehl stählen. Ich stürzte mich auf Hamlik; Hampartsoum griff ein, Hamlik begann, mit aller Kraft zu fliehen.
- Umsonst hast du mich nicht gelassen, ihm eine Lektion zu erteilen, - sagte ich wütend zu Hampartsoum. "Soviel soll ihm eine Lehre sein", - sagte Hampartsoum.
Einige Tage später sagte Hampartsoum zu mir:
- Ich traf Hamlik, er sagte: "Wenn alle wie du und André wären, hätten wir keinen Erfolg...".
Es war uns bereits klar, dass die Bolschewiki unter dem Deckmantel von Studenten Spione anwarben. Ich ging ins Büro und erklärte Genosse S. Wrazian, Ruben und Dschamaljan die Situation und sagte, dass J. Aiwasean und Wostanik aus unserer Parteigruppe entfernt werden müssten. Das Büro erklärte die beiden per Rundschreiben für ausgeschlossen.
Die Bolschewiki überreden Wostanik, nach Armenien zu gehen; sie geben ihm eine Empfehlung und übernehmen auch die Kosten. Sie sagen: "Du bist Dichter, du wirst hingehen, man wird dich dort fördern...".
Wostanik reist über Italien ab. Alle wussten bereits, dass Wostanik nach Armenien abreiste.
Eines Tages sahen wir Wostanik plötzlich wieder in Paris...
Wir gingen zu zweit ins Café. Seine ersten Worte waren:
- André, du hattest recht, ich habe Geld erhalten, einmal erhielt ich von Aschot Badmagerjan sogar einen Scheck über eintausendzweihundert Franc, zusätzlich zu den Reisekosten. Als ich in Italien ankam, hatte man mir einen verschlossenen Empfehlungsbrief gegeben, den ich in Jerewan vorlegen sollte. Ich war neugierig, was in dem Brief stand, öffnete ihn und was lese ich? Geschrieben stand: "Gebt diesem Bengel keine Chance..."
Sofort beschloss ich, zurückzukehren, und sagte hier zu ihnen, man hätte mich unterwegs ausgeraubt, mein Geld und alles gestohlen... Ihr sollt es auch so erfahren.
Zwei Tage später traf ich Jegische Aiwasean, der mich bat, ins Café zu kommen. Auch er gestand, dass er Geld erhalten hatte, dass ich recht gehabt hatte.
Obwohl wir beiden verziehen, nahmen wir sie nicht mehr in die Reihen auf.
Wasgen war ein junger Mann von mittlerer Statur, kräftigem Körperbau, mit schwarzen, großen Augen, rosigen Wangen, heller Haut, bereits vom ersten Moment der Bekanntschaft an freundeten wir uns an. Er war eine Waise des April-Völkermords; Jahre hatte er in Waisenhäusern verbracht, dann hatte man ihn in ein Waisenhaus in Armenien gebracht, schließlich war er ins Ausland gekommen, hatte die landwirtschaftlichen Kurse in Montpellier abgeschlossen, aber wenig in seinem Beruf gearbeitet. Er war nach Paris gekommen, beschäftigte sich mit Lesen und Schreiben. Sein Materielles regelte sein Waisenhaus-Freund Sepuh, der sich in Ägypten befand. Er interessierte sich für Gesellschaftswissenschaften, war ein leidenschaftlicher Sozialist; das ist der Grund, warum wir mit ihm immer bei den Auftritten französischer Sozialisten anwesend waren, die manchmal in Kämpfen endeten, mit störenden Auftritten von Rechten oder Linken.
Spät abends gingen wir mit Wasgen in den beleuchteten Boulevards oder im Luxembourg-Garten spazieren, und Wasgen rezitierte sein Lieblingsstück von Missak Medzarents:
"Die Nacht ist lieblich, die Nacht wonnig,
Gesalbt mit Haschisch und Balsam,
Berauscht werde ich den lichtvollen Pfad entlanggehen,
Die Nacht ist lieblich, die Nacht wonnig"...
Wasgen hatte ein reines Herz und einen reinen Charakter; auch ihn konnten die Bolschewiki nicht materieller Verlockung unterwerfen.
Manchmal, wenn Arzruni Tulean bei uns war, bedrängte er Wasgen; einmal sah man, wie er Wasgen in den Rücken schlug und floh. "André, siehst du, heimtückisch ist er, ha!, er schlägt von hinten zu", sagte Wasgen und lachte sein typisches, herzliches Lachen.
Mit Wasgen lasen wir auch aus den Werken berühmter französischer Dichter, manchmal rezitierten wir auswendig Stücke von Baudelaire, Alfred de Musset, Paul Verlaine.
Hinter dem Place Saint-Michel befand sich die Höhle der berühmten französischen Apachen (kriminelle Bande); es war Wasgens Lieblingsort, obwohl gefährlich. Der Dichter Paul Verlaine, der auch trunksüchtig war, hatte oft die Höhle der Apachen besucht und seinen Namen an die Wände geschrieben. Wasgen zeigte eifrig die Unterschriften Verlaines und anderer Dichter und rief aus: "Sieh! Diese Dichter liebten die Apachen..." und er freute sich, dass auch er in den Fußstapfen berühmter Dichter wandelte.
Als ich zum ersten Mal die Höhle der Apachen betrat, hinterließen die trockenen, steinernen Wände und Aushöhlungen einen bedrückenden Eindruck bei mir. Wir stiegen enge, steinerne Treppen hinab und betraten eine kleine Höhle, wo es einen groben Tisch und einige grobe Hocker ohne Lehne gab. In der kleinen Nebenkammer-Höhle saßen 3-4 Apachen, die uns zunächst mit wütenden Blicken ansahen, dann ignorierten. Wasgen erzählte mir, dass die Apachen einige Kunden genau hier ausraubten...
Wir bestellten Bier, tranken es und gingen hinaus. Ich, der ich beim ersten Betreten einen bedrückenden Eindruck erhalten hatte, wurde nun ein Liebhaber der Apachen-Höhle und schlug danach manchmal zu Wasgen: "Wasgen, gehen wir nicht in die Apachen-Höhle?". Er freute sich und wir gingen; die Apachen kannten uns bereits und warfen uns keine feindseligen Blicke mehr zu.
"Wie kommt es, dass dein Nachname weiblich ist – Schuschanian?", fragte ich Wasgen eines Tages. "Von meinen Eltern habe ich gehört, dass meine Großmutter eine sehr kluge und einflussreiche Frau war, daher haben die Unsrigen beschlossen, ihren Namen als Nachnamen zu verwenden", antwortete Wasgen.
Wasgen schrieb seine literarischen Werke und Artikel in einem kleinen Café in der Nähe des "Café de la Source". Wenn ich ihn treffen wollte, ging ich in dieses Café; in einer Ecke, an einem Tischchen sitzend, schrieb er, seine Handschrift war auch sehr deutlich.
Arzruni Tulean stritt manchmal mit Wasgen über dessen Ansichten. Einmal, als ich krank in meinem Zimmer lag, hatte Arzruni in einer Versammlung Wasgen wegen seiner Ansicht beschuldigt. Sie kamen zu mir, um meine Meinung zu hören. Als ich es hörte, sagte ich: "Die Föderation predigt Freiheit des Denkens, des Wortes und der Feder. Wenn die Ansichten eines Föderationsmitglieds nicht der politischen Linie widersprechen, ist es frei, sie auszudrücken. Wenn es eine von der politischen Linie abweichende Ansicht hat, dann kann jeder Föderalist sechs Monate vor dem Allgemeinen Kongress in Versammlungen seine Ansichten ausdrücken; wenn der Allgemeine Kongress sie bestätigt, gut. Und wenn nicht, bleibt die Ansicht schriftlich in den Protokollen, und er selbst wird sich den Beschlüssen des Allgemeinen Kongresses unterwerfen."
Wasgen war mit dieser meiner Erklärung zufrieden.
1927 hatte man aus Buenos Aires (Südamerika) einen Aktivisten angefordert, um die Region zu organisieren und eine Zeitung zu gründen. Man hatte meinen Namen genannt. Ich sagte zu Genosse Ruben, dass ich in die Heimat reisen würde. Ich hatte ihm davon erzählt, daher könne ich nicht nach Buenos Aires gehen. Ruben sagte: - "Du hast recht, wir werden ihnen schreiben, dass du aus gesundheitlichen Gründen nicht gehen kannst. Du musst in die Heimat gehen. Ohnehin ist unsere Verbindung zur Heimat abgebrochen."
Sie schickten Genosse Tadeos Medzaturean (ein Verwandter von Missak Medzarents); er blieb ein Jahr für Organisationsarbeiten, konnte aber kein Redakteur sein.
Als ich an der Reihe war, in die Heimat zu reisen (im Juni 1928), verbreiteten wir die Nachricht, dass ich nach Buenos Aires reisen würde, als Aktivist-Redakteur (Medzaturean war bereits zurückgekehrt). Selbst meinen engsten Genossen sagte ich nicht, dass ich nach Armenien reisen würde; nur Arzruni Tulean wusste davon, weil er in die Heimat gereist und zurückgekehrt war; wir hatten zusammen am 10. Allgemeinen Kongress teilgenommen.
An den Tagen meiner Abreise kam Wasgen mit einem Päckchen in der Hand, reichte es mir und sagte: - "Wir waren so eng befreundet, nimm dieses kleine Geschenk zu deiner Abreise an"... Das Geschenk war Herbstkleidung; ich war gerührt. "Wasgen, mein Lieber, warum hast du solche Ausgaben gemacht, das ist eine Belastung für dich", sagte ich. "Bitte lehne es nicht ab, es ist ein Geschenk unter Freunden", sagte er und schenkte mir auch sein Foto.
Monate später, als er erfahren hatte, dass ich in die Heimat gereist und inhaftiert worden war, schrieb Wasgen mir 1930, als ich aus der Sowjetunion nach Persien ausgewiesen wurde, sofort einen Brief, in dem er seine Freude darüber ausdrückte, dass ich frei gekommen war, und schickte noch ein Foto.
Sein Foto bewahre ich bis heute wie eine Reliquie auf, darauf mit seiner Handschrift geschrieben: "An den lieben André – von Wasgen", Paris.
Manchmal kamen Jugendliche aus dem Süden Frankreichs nach Paris, von mittlerer Statur, rundlich gebaut; Wasgen sagte zu mir: - "André, schau, ha!, das ist Ware aus dem Waisenhaus"... und tatsächlich, wenn wir nachfragten, waren sie in Waisenhäusern gewesen.
Wasgen Schuschanian machte sich einen Namen im literarischen Leben, und seine Schriften werden bis heute mit Vergnügen gelesen. Schade, dass er so früh starb. Ich werde meinen lieben Wasgen Schuschanian und sein süßes Lachen nie vergessen.
In der Stadt Lyon sollte der regionale Delegiertenkongress der A.R.F. für Westeuropa stattfinden. Wir hatten gehört, dass Abo (Baghdasar) Abojan "Finger" organisiert hatte und eine Rede gegen die ostarmenischen Aktivisten halten würde, aus sektiererischem Eifer... In der Freundschaftsversammlung des Pariser Komitees wurde darüber gesprochen, auch ich hielt eine Rede und erklärte, dass die Föderation weder sektiererische noch dialektale Diskriminierung anerkenne. Die Genossen Gerasim Balajan und Armen Sasoni unterstützten meinen Standpunkt und bestanden auf meiner Kandidatur als Delegierter. Bei mir waren auch Wasgen Schuschanian, Mkrtitsch Jeretzian, Gegham (der Gedichte schrieb), Lewon Mosian und ein anderer Genosse, dessen Name ich vergessen habe.
Bei der Versammlung war vom Büro Genosse S. Wrazian anwesend, der sich zurückhielt. Abojan hatte dreiunddreißig organisierte "Finger" mitgebracht, meist junge Neulinge.
Jedes Mal, wenn Abo sprach, bat ich ums Wort und neutralisierte den Eindruck seines Gesagten. Die Versammlung hatte sich bereits daran gewöhnt und sagte nach Abos Reden: - "Jetzt wird André ums Wort bitten."
Aus Lyon war ein älterer Genosse namens Kakosean gekommen, groß, dürr und knöchrig, mit glasigen Augen. Während der Versammlungspause war Lärm aus dem Flur zu hören. Als wir in den Flur gingen, sagte man, Kakosean habe Wasgen Schuschanian geohrfeigt, und man warnte, dass Kakosi eine Pistole bei sich habe. Ich war sehr betroffen, dass ein grober Kakosean einen jungen Genossen wie Wasgen geohrfeigt hatte.
In der Versammlung schlug ich vor, Kakosean für drei Sitzungen zu suspendieren und auch die Waffe zu beschlagnahmen; der Beschluss wurde gefasst, aber als es darum ging, die Waffe zu beschlagnahmen, meldete sich niemand. Als ich sah, dass sich niemand meldete, übernahm ich es. Alle warteten gespannt, was passieren würde. Ich ging in den Nachbarraum, wo Kakosean allein saß, setzte mich zu ihm und sagte: - "Genosse Kakosean, wegen deiner Ohrfeige an Genosse Wasgen Schuschanian hat die Versammlung beschlossen, dich für drei Sitzungen zu suspendieren; außerdem sollst du mir deine Waffe aushändigen."
Kakosean übergab mir die Pistole ohne ein Wort. Als ich in die Versammlung zurückkam und die Pistole auf den Tisch des Vorsitzes legte, waren alle erstaunt. Ich sagte, dass Genosse Kakosean der Anordnung widerstandslos nachgekommen sei, und schlug vor, die Strafe von drei auf zwei Sitzungen zu reduzieren.
Dort kam die Versammlung zu dem Schluss, dass Abos organisierte dreiunddreißig "Finger" zerschlagen wurden. Mesrop Gujumdschan, der Abos rechte Hand war, bat mich, in den Nachbarraum zu kommen. "Genosse André, bitte verschone mich", sagte er. "Genosse Gujumdschan, - sagte ich - ich habe nichts gegen dich, aber Abojans Vorgehen ist spalterisch und ich bin gegen ein sektiererisches Vorgehen, und auch ihr solltet das sein."
Kurz gesagt, Abo wurde nicht in das Zentralkomitee gewählt und fuhr mit hängender Nase nach Marseille ab. Ich zog auch meine Kandidatur zurück, erstens, weil ich in die Heimat reisen musste, und auch, damit man nicht sagte, er habe Abo gestürzt, um selbst gewählt zu werden.
Als wir nach Paris zurückkehrten, drückten Gerasim Balajan und Armen Sasoni ihre Zufriedenheit aus, dass ich den spalterischen Abo neutralisiert hatte.
Als ich Genosse Ruben traf, sagte er: - "André, ihr habt euch in Lyon in einen Mantelkampf eingelassen...". Ich erzählte ihm den Vorfall, Kakoseans Ohrfeige und die Entwaffnung. Ruben war zufrieden.
Nach meiner Abreise in die Sowjetunion hatte Aschot Arzruni eine Auseinandersetzung mit Abo; Arzruni warf Abo eine Flasche an den Kopf und verletzte ihn.
Erst nach meiner Abreise wird diese Bewegung "Martkozakan" genannt. Sie gründen eine Zeitung in Marseille und nutzten den Namen des Halbgebildeten Smbat Barojian (Smbat von Musch, Andraniks Waffengefährte) aus. Schahan Natali hatte sich ebenfalls dieser Bewegung angeschlossen. Schließlich stellte sich heraus, dass Abo Geld von den Bolschewiki erhalten hatte, um die Föderation zu spalten... Benik Miltonjan hatte Abo verlassen; Benik war eine aufrechte und saubere Persönlichkeit, während Mkrtitsch Jeretzian und Lewon Mosian, die auf dem Regionalkongress zu mir hielten, später zu Abo übergingen, um mit ihm zusammenzuarbeiten.
Abo reiste mit seiner Frau Zarmik (eine geschwätzige und tratschende Frau) auf Rat der Bolschewiki in die Sowjetische Armenien. Eines Tages ruft ihn die Tscheka und sagt:
"Wiederhole jene Rede, die du hieltest, als du ein Daschnak warst...". Abo ist verdattert und windet sich. Die Rede war folgende: "Eines Tages wird Stalin gefragt, wie er die zweihundert Millionen des russischen Volkes führe.". Stalin antwortet: "Das sind zweihundert Millionen Esel, die ich reite und antreibe..."
Abo und seine Frau werden nach Sibirien verbannt, wo er im Elend stirbt.
Eines Tages hielt Schahan in einer Freundschaftsversammlung in Paris eine Rede und erklärte: - "Die Föderation ist zu einem Stall geworden...". Ich bat sofort ums Wort und erklärte: - "Ich protestiere gegen die Äußerung des Genossen Schahan. Seine Worte gehen über die Tagesordnung hinaus, ich fordere eine Unterbrechung." Der Versammlungsleiter und die Versammlungsteilnehmer stimmten meinem Protest zu und Schahan setzte sich.
Am nächsten Tag ging ich ins Büro; Ruben war dort und ich erzählte aufgebracht von Schahans Rede und fügte hinzu, dass es sich für ein Büromitglied nicht gehöre, die Organisation mit einem Stall zu vergleichen.
Ruben sagte: - "Er hat noch andere Dinge, die wir prüfen. Wir werden uns auch dem widmen."
Nach und nach kam ans Licht, dass 1) Schahan, entgegen dem Beschluss des Allgemeinen Kongresses, in der ersten Klasse von Schiff und Zug gereist war und das Geld der Partei verschwendet hatte; 2) er in Amerika heimlich Versammlungen mit westarmenischen Genossen abgehalten, erklärt hatte, dass die Türkei mit wissenschaftlichen Mitteln zerstört werden müsse und Geld gesammelt hatte, dies vor den höheren Gremien verborgen; 3) er sich der "Martkozakan"-Bewegung angeschlossen und zersetzend gearbeitet hatte usw.; 4) das Büro hatte ihn bis zum nächsten Allgemeinen Kongress zur Überprüfung isoliert.
Der Allgemeine Kongress (der 11.) schloss Schahan aus der Föderation aus.
Awedis Aharonians "Mein Buch" (Kindheit) wurde gesetzt; ich lektorierte. Unsere Führer wussten, dass ich ein fehlerfreier Lektor war. Es begann der Satz von Genosse S. Wrazians Werk "Die Republik Armenien" in der Druckerei "Ghukasov"; die Setzerin war Frl. Sato, die an einer Zeilensetzmaschine (Linotype) setzte und wenige Fehler machte; am Ende, als Frl. Sato das Vorwort setzte, sah ich, dass Genosse Wrazian auch meinen Namen als Lektor erwähnt hatte.
Ich sagte zu Frl. Sato, sie solle meinen Namen nicht setzen. Am nächsten Tag, als ich in die Druckerei ging, war das Vorwort bereits gedruckt.... Frl. Sato sagte, Wrazian habe angeordnet, den Namen unbedingt zu setzen.
Der Band "Die Republik Armenien" erschien fast fehlerfrei. Genosse Vahan Hambardsumjan sagte: - "Du lektorierst gewissenhafter als der Autor selbst." Ich schreibe dies, weil insbesondere in den letzten Jahrzehnten Presse und Bücher voller Fehler sind; die armenische Sprache ist zurückgegangen; diejenigen, die die Rechtschreibung beherrschen, kann man kaum an den Fingern einer Hand abzählen... Die von mir verfassten Bücher, die ich selbst lektoriert habe, enthalten keine Fehler.
Wrazian wollte mich durch Arzruni für die Lektoratsarbeit bezahlen; ich lehnte ab, eine bezahlte Lektoratsarbeit geleistet zu haben (auch Aharonians Buch hatte ich kostenlos lektoriert). Arzruni Tulean zog mich später auf. Er wusste, dass ich in die Heimat reisen würde. Eines Tages sagte er: - "Du wirst in die Heimat reisen, du brauchst einen Regenmantel (Plaschtsch). Ich hatte keinen mitgenommen und brauchte ihn sehr." Es setzte sich in meinem Kopf fest, wir gingen in ein Geschäft, wählten einen Regenmantel aus, Arzruni lief sofort zur Kasse, um zu bezahlen; ich kam hinter ihm an, um mein Geld zu zahlen, er hinderte mich daran und sagte: "Das ist ein Geschenk von Genosse Wrazian, ein Geschenk lehnt man nicht ab...".
Ich muss sagen, dass die von Wasgen Schuschanian geschenkte Kleidung und der von Genosse Wrazian geschenkte Regenmantel in den sowjetischen Gefängnissen abgenutzt wurden....
Vor meiner Abreise ging ich zur Delegation, um mich von Alexander Chatisjan zu verabschieden. Auch er glaubte, ich reise nach Buenos Aires, als Aktivist. Er begann, Namen und Adressen von Bekannten zu nennen, die mir nützlich sein könnten. "Ich habe einen guten Eindruck von Ihnen als jungem Aktivisten. Von denen, die sich Geld von der Delegation geliehen haben, sind Sie der Einzige, der es zurückgezahlt hat (davon hatte Chatisjan auch Lewon Nairzi erzählt, der es mir sagte)."
Ich war in einer unangenehmen Lage, wohin ich ging, wohin meine Genossen dachten. Chatisjans Frau war Russin, sehr anständig, höflich und mit einem Lächeln im Gesicht, sie lebten in einem Zimmer der Delegation; ich verabschiedete mich von Chatisjan und seiner Frau und ging schweißgebadet hinaus.
Als ich mich von Arzruni Tulean verabschiedete, sagte ich: - "Falls ich jemals in der Sowjetunion eine Erklärung unterschreibe, erinnert euch an Wardan Mamikonjan. Erinnere dich auch daran, dass ich dich auf den Namen Aschot Arzruni getauft habe, als du eine passende Unterschrift für deine Zeitungsartikel suchtest (bis heute unterschreibt er als Aschot Arzruni, es ist fünfzig Jahre her...)".
Beim Abschied sagte Aschot Arzruni bewegt: "Wir werden uns nicht mehr wiedersehen"... Er wusste, wie gefährlich meine Mission war; er selbst war aus der Heimat gekommen und von 1928 bis heute, 1978, haben wir uns nicht getroffen, obwohl wir Briefkontakt hatten, er in Buenos Aires, ich in Teheran.
Ich ging mit Ruben zu Awedis Aharonian. In jenen Tagen (Ende Juni 1928) war Aharonian, als er mit Franzosen sprach, plötzlich erblindet... Ruben sagte: - "Awedis, wir schicken André in die Sowjetunion. Kannst du irgendeine Adresse in Moskau nennen?" Aharonian war sehr bewegt. Ich stand an seinem Bett, Ruben streichelte Aharonians Stirn:
- Ach, es ist eine gefährliche Mission. Geh in Moskau zur armenischen Kirche, Armenkij Pereulok (Armenische Gasse). Dort gibt es einen ehrwürdigen Priester, Ter Arsen Simonian; er wird dir die Adressen von Genossen mitteilen, - sagte Aharonian. Er ergriff meine Hand, drückte sie, wir verabschiedeten uns mit Ruben. (Später hatten sich seine Augen geöffnet und er war der alte Aharonian geworden).
Ich verabschiedete mich von Genosse Wrazian im Gebäude der Delegation, er küsste mich, wünschte Erfolg und sagte: - "Lass mich nicht mit dir gesehen werden" und ging.
Ich traf Schawarsch Missakean, der der Kassierer des Büros war; er gab mir hundertfünfzig Dollar als "Darlehen"... Ich unterschrieb den Empfangsschein.
Ich fuhr zu Genosse Dschamaljan, mit meinem Koffer; dort sollte ich Anweisungen erhalten; dann sollte ich mit dem Zug abreisen. Er lebte mit seiner Familie in der Vorstadt.
Ruben war dort. "Jetzt musst du drei Chiffren auswendig lernen, mit den Anfangsbuchstaben Erna, André und Arus. Erna ist der Name meiner Tochter, Arus soll dein Deckname sein", sagte Dschamaljan und begann mir das Geheimnis der Chiffre zu erklären. Ich lernte die Chiffre an Ort und Stelle auswendig. Dann sagte er: - "Ich gebe dir zwei Parolen, die wir von Dro übernommen haben. Tigran Anijew befindet sich in Moskau, er war Offizier in der Republik Armenien, war auch in Moskau in Dros Nähe; Anijew ist zwar Sozialrevolutionär, aber er ist auf unserer Seite, ein Vertrauenswürdiger. Diese Parolen musst du ihm zuerst sagen, damit die Genossen dir vertrauen. A. Parole: Die Laterne von Leale'a, B. Parole: Gott und die vierzig Teufel sind mit uns."
"Unsere Genossen sind nach Moskau verbannt: Korjun Ghazasan, Tigran Awetisjan, Bagrat Toptschjan, Smbat Chatschaturan, Arsen Schahmasian. Du wirst sie treffen, aber vermeide es, Bagrat Toptschjan zu treffen, weil wir gehört haben, dass er kürzlich andere Ansichten hat. Du wirst die Genossen über die aktuelle politische Lage berichten, auch über die Beschlüsse des 10. Allgemeinen Kongresses, an dem du selbst teilgenommen hast. Du wirst auch ihre Ansichten erfahren, unsere gegenüber den Sowjets zu verfolgende Politik. Das Büro ermächtigt dich, unzuverlässige Genossen zu neutralisieren, sogar Gremien aufzulösen, wenn nötig, und neue einzusetzen. Beim Zentralkomitee der Heimat wirst du fragen, was mit Budaschkos Attentat geworden ist... auch: Wir haben Literatur und Geld geschickt, haben sie es erhalten?", sagte Dschamaljan. Ruben sagte: - "In Alexandropol befindet sich Tigran Gawarjan, er ist einer unserer alten Fedajin aus Taron und kennt mich gut. Du wirst ihn sehen, er wird dich mit unseren Genossen in Alexandropol bekannt machen. Wir schicken Tigran geheime Literatur und Geld."
Dschamaljan fuhr fort: - "Du wirst versuchen, über Baku eine Verbindung zu unseren Leuten in Persien, Enzeli, herzustellen. Der letzte Prozess in Armenien hat unsere Verbindung unterbrochen und wir wissen nicht, wer jetzt noch übrig ist. Nur: In Jerewan meide Mihran Grigorjan, er hat eine Erklärung abgegeben; er war Mitglied des armenischen Parlaments. Sei vorsichtig, vertraue nicht jedem, es gibt viele sowjetische Spione."
Ruben sagte: "Du wirst den bolschewistischen armenischen Führer Sahak Ter-Gabrijean treffen und über Berg-Karabach und Nachitschewan sprechen, dass sie arbeiten sollen, sie an Armenien anzuschließen; das sind armenische Gebiete, es war ein Unrecht, diese Regionen Aserbaidschan zu überlassen", und begann, die militärische Bedeutung Berg-Karabachs zu erklären, dass es vom heutigen Armenien im Nordosten durch einen Berggipfel (Selim) und einen Pass getrennt ist. Er hatte Studienartikel über diese Regionen im "Droschak" geschrieben, ich hatte lektoriert; das Material war mir bekannt.
Ich sagte zu Dschamaljan und Ruben, dass Genosse Wrazian mir den Namen des Arztes Sargsjan gegeben habe, den ich in Baku treffen solle, vielleicht könne ich durch ihn eine Verbindung auf der Linie Baku-Enzeli herstellen. Nachdem wir über einige Details gesprochen hatten, verabschiedete ich mich von Dschamaljan, und Ruben sowie Dschamaljans fünfzehnjähriger Sohn Armik, der sehr an mir hing, kamen zum Bahnhof, um mich zu verabschieden. Wir umarmten uns; als ich in den Zug stieg, drehte ich mich um, um auf Wiedersehen zu sagen, und sah, dass Ruben Tränen in den Augen hatte... Das war unsere letzte Trennung, ich würde ihn nicht mehr sehen.
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Genosse Dschamaljan hatte angeordnet, dass ich keinerlei Papiere oder Bücher mitnehmen sollte; ich hatte ihm gesagt, dass ich ein französisches Buch von Lenin habe – "Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus" – und ein kleines Taschenwörterbuch Französisch-Russisch. Dschamaljan hatte gesagt, ich solle Lenins Buch nicht mitnehmen, es könnte Verdacht erregen, also warf ich das Buch aus dem Zugfenster, behielt aber das Wörterbuch. In meinem Koffer war nur meine Kleidung. Ich hatte ein Transitvisum vom sowjetischen Konsulat in Paris genommen; in jenen Jahren hatte ein Reisender in jeder Hauptstadt das Recht, vierundzwanzig Stunden zu bleiben.
In jenen Tagen war die Schauspieltruppe des Wachtangow-Theaters von Moskau nach Paris gekommen, ich war bei einer ihrer Vorstellungen anwesend gewesen; und siehe da, als unser Zug am Berliner Bahnhof hielt, stieg die Wachtangow-Truppe in den Zug und füllte die Abteile in meiner Nähe. Ein Verdacht schoss mir durch den Kopf, daher beschloss ich, zu zeigen, dass ich kein Russisch könne, und für zwei Tage in Warschau auszusteigen (auch Dschamaljan hatte das gesagt, falls ich unterwegs etwas Verdächtiges sähe).
In Warschau stieg ich in einem Hotel ab; ich ging in die Stadt, kaufte eine Bluse russischer Art, eine Mütze; in Moskau würde ich in dieser Kleidung herumlaufen, um keinen Verdacht zu erregen, sonst würde europäische Kleidung Aufmerksamkeit und Argwohn erregen. Ich hatte eine Brustnadel mit dem Bild von Christophor Mikajelian, die mir noch in Täbris, 1922, als ich nach Armenien abreiste, Genosse Hmayak Poghosian (der ältere Bruder von Genosse Tachat Poghosian) geschenkt hatte; dieses Schmuckstück konnte ich nicht bei mir haben; ich brachte es nicht übers Herz, es wegzuwerfen, also legte ich es unter das äußere Blech des Hotelzimmerfensters, dort konnte es lange Zeit sicher bleiben. Als ich das Hotel verlassen wollte, standen fünf Dienstmädchen in einer Reihe... ich sollte ein Trinkgeld geben, obwohl ich nur eines von ihnen gesehen hatte. Ich gab Trinkgeld und fuhr zum Bahnhof.
An der Grenze der Sowjetunion stieg ich aus, man sah sich meinen Koffer an, ich passierte.
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Am Moskauer Bahnhof steckte ich einen Satz Wäsche, mein Rasierzeug in meine Aktentasche, ich hatte meine Kleidung gewechselt. Aschot Arzruni hatte mir gesagt, dass sowjetische Beamte und Tschekisten Blusen tragen, Mützen aufsetzen, eine Aktentasche in der Hand halten; ich hatte mich auch so angezogen. Ich gab meinen Koffer am Bahnhof in Aufbewahrung, stieg in eine Droschke. Ich befahl, zum Armenkij Pereulok (Armenische Gasse [Nebengasse]) zu fahren, wo sich die armenische Kirche befand. Die Droschke sah sehr ärmlich aus, zwei Pferde – skelettdürr, die Innenpolster der Droschke zerfetzt, herunterhängend, der Kutscher, ein alter Russe, skelettdürr wie seine Pferde... Moskau war in jenen Tagen, nach Paris, wie ein großes Dorf.
Im Wagen pochte mein Herz, - "Und wenn ich Vater Arsen, von dem Aharonian gesprochen hatte, nicht fände, was sollte ich ohne die Begegnung mit Genossen in Moskau tun...?"
Ich kam an, stieg aus der Droschke, betrat den Hof der Kirche, gegenüber war die Kirche, an der linken Seitenwand gab es zwei Türen, sauber, aus Kastanienholz, ich klopfte an eine Tür, eine junge Frau mit schönem Gesicht öffnete.
- Entschuldigung, kann ich Vater Arsen sehen? - sagte ich.
- Warten Sie einen Moment, - sagte die Frau und trat ein.
Ich atmete erleichtert auf, also hatte ich Vater Arsen gefunden.
In der Tür erschien ein Priester mit angenehmem Gesicht.
- Vater Arsen, ich komme aus Paris. Awedis Aharonian lässt Sie herzlich grüßen. Kürzlich hatte er drei Tage lang sein Augenlicht verloren, aber zum Glück hat er es wiedererlangt. Bitte geben Sie mir Smbat Chatschaturjans Adresse.
Der Priester nannte die Adresse, freute sich über Aharonians Gruß und Genesung. Ich sagte: "Vater, nach Paris ähnelt Moskau einem großen Dorf", er sagte: "Jetzt ist es noch gut, aber vor fünf-sechs Jahren hätten Sie es sehen sollen, was das war...".
Beim Abschied sagte ich: "Vater, weder habe ich Sie gesehen, noch Sie mich." - "Natürlich, mein Sohn, willkommen", sagte er, ich ging.
Als ich die armenische Kirche in Moskau sah, erinnerte ich mich an Aharonians Erzählung über das Attentat auf Schamaharan, das im Hof *dieser* Kirche stattgefunden hatte.
"Der Terrorist war einer unserer kaum gebildeten jungen Genossen, er hatte in Genf Zuflucht gesucht, sich sehr an mich gebunden. Der armenische Millionär Schamaharan wurde auf Beschluss der Föderation einem Attentat unterzogen, weil er das Eintreiben von Geld für den 'Sturm' der zaristischen Ochrana verraten hatte", erzählte Aharonian.
Die armenische Kirche in Moskau gehört zum Lasarew-Seminar, dessen Gebäude ich von außen sah.
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Ich ging zu der von Vater Arsen gegebenen Adresse, im Eingangsflur stand mit Kreide auf einer schwarzen Tafel auf Russisch geschrieben: Hauskomitee, Diensthabender: Smbat Chatschaturan. Ich stieg die Treppe hoch, klopfte an die Tür im ersten Stock, der mittlere Teil der Tür war aus Leder, mit Wolle gefüllt... Sicherlich zum Schutz vor der Moskauer Kälte. Ich klopfte mehrmals – niemand öffnete. Ich dachte, ich solle gehen und etwas später wiederkommen, vielleicht sei er dann da.
Auf der Straße sah ich einen Friseursalon, ich trat ein. Zwei Militärangehörige saßen in der Warteschlange, ich setzte mich auch. Meine Kleidung war so, dass sie keinen Argwohn erregte. Als ich an der Reihe war, begann der geschwätzige Friseur, Fragen zu stellen.
- Woher kommen Sie, Bürger? - fragte er.
- Aus Leningrad, - sagte ich.
- Was kostet das Brot? - fragte er.
In Paris hatte ich die sowjetische Presse verfolgt, also nannte ich einen Preis.
- Was kostet das Fleisch?
Wieder nannte ich einen Preis.
- Sind Sie zum ersten Mal in Moskau?
- Nein, ich bin über Moskau nach Leningrad gefahren, - sagte ich.
Schließlich war mein Haarschnitt beendet, er wollte mich rasieren, ich ließ es nicht zu. Um neuen Fragen zu entgehen, bezahlte ich, ging schweißgebadet hinaus... Ich entfernte mich schnell in Richtung S. Chatschaturjans Wohnung; wieder nicht zu Hause...
Ich nahm eine Droschke zur armenischen Kirche, zu Vater Arsen.
- Vater, Genosse S. Chatschaturan ist nicht zu Hause, ich ging zweimal hin, klopfte an die Tür - Oh, heute ist Sonntag, wahrscheinlich ist er zu Bekannten gegangen. Soll ich Ihnen Bagrat Toptschjans Adresse geben? - sagte er.
Obwohl Genosse Dschamaljan gesagt hatte "Versuch, Bagrat nicht zu treffen", aber da Vater Arsen den Namen nannte und ich keine andere Adresse hatte, sagte ich ja.
- Er lebt mit seiner Frau im Gebäude des armenischen Friedhofs in Moskau. Nur sei vorsichtig, wenn du hineingehst, der Pförtner ist ein russischer Spitzel, - sagte Vater Arsen.
Ich verabschiedete mich, nahm eine Droschke zum armenischen Friedhof.
Das Friedhofstor war ein großes Eisengitter; ich sah ein kleines Mädchen hinter dem Tor Ball spielen:
- Liebes Mädchen, ist Onkel Bagrat zu Hause? fragte ich auf Russisch. Sie sagte: Ja.
- Na, mach das Tor auf, - sagte ich.
Das Mädchen öffnete das Tor, ich trat ein; ich sah auf der linken Seite, etwa fünfzig Schritte entfernt, den russischen Pförtner mit seiner Familie auf den Stufen seiner Hütte sitzen. Ich ging schnell nach rechts, an Bäumen vorbei, zu dem eingeschossigen Gebäude auf dem Friedhof, wo Bagrat wohnte. 1917-1919 hatte ich Bagrat in Tiflis gesehen, sein Gesicht war mir bekannt.
Ich klopfte an die Wohnungstür, sie öffnete sich. Er war es, ich erkannte ihn.
- Genosse Bagrat, ich komme aus Paris, ich muss Sie mit wichtigen Aufträgen treffen, kann ich hereinkommen?
Bagrat, schweigend, ließ mich eintreten. Ich setzte mich auf einen Stuhl, er ging hinter seinen Tisch, begann Blini zu essen (Teig in Brühe), schweigend und nachdenklich. Ich verstand ihn, er war im Zweifel, also sagte ich.
- Ich habe Parolen für Tigran Anijew, damit Sie mir vertrauen. Bis dahin müssen Sie nichts mit mir besprechen.
Der Ausdruck auf Bagrats Gesicht veränderte sich.
- Ich habe Sie in Tiflis gesehen, Ihre Vorträge gehört, auch die von Genossen Vahan Sorerian, Korjun Ghazasan, Tigran Awetisjan. Ich muss auch Genosse Korjun und T. Awetisjan treffen, - sagte ich.
- Korjun und Awetisjan sind im Ural-Gefängnis, - sagte er.
- In diesem Fall werde ich mit Genossen Arsen Schahmasian und Smbat Chatschaturan sprechen und berichten; ich ging zu Chatschaturjans Wohnung, er war nicht zu Hause, - sagte ich, - ich habe seine und Ihre Adresse von Vater Arsen bekommen.
Dann erzählte ich, dass die Verbindung zum Büro unterbrochen sei, aufgrund des Prozesses gegen Manuk Chuschojan und der Verhaftungen, durch die Denunziationen des Provokateurs Budaschko.
- Budaschko kam aus Paris hierher, saß genau auf deinem Platz, ich wusste, dass er ein Spitzel war, wir hatten eine Nachricht über ihn nach Täbris geschickt, um das Büro zu informieren. Ich warf Budaschko hinaus, erklärte, ich beschäftige mich nicht mit Parteiarbeit, er ging fort, - sagte Bagrat.
- Jetzt muss ich eine Verbindung durch eure hier und die Genossen in der Heimat herstellen; können wir zu Tigran Anijew gehen? - fragte ich.
- Jetzt ist es nicht möglich, es ist Tag, am Abend werden wir gehen, - sagte er.
- In diesem Fall bitte ich um eines, das Büro hat mir Chiffren gegeben, die ich auswendig gelernt habe; ich möchte diese Chiffren so schnell wie möglich an Sie übergeben, denn wenn ich verhaftet werde, wird meine Mission scheitern, - sagte ich. - Warte, ich werde kommen, - sagte Bagrat und verließ das Zimmer.
Kaum zehn Minuten später kehrte er mit einem lebhaften jungen Mann namens Kolik zurück. Er trug eine russische weiße Bluse. Wir lernten uns kennen, gingen in das hintere Zimmer, ich schrieb schnell die drei Chiffren auf, auch die vom Büro gegebene Adresse, und sagte: - Genosse Kolik, nehmen Sie das sofort von hier weg, weder habe ich Sie gesehen, noch Sie mich.
- Sehr gut, - sagte Kolik, steckte das Papier in seinen Ärmel und ging sofort.
Bagrat hatte keinen Zweifel mehr, er fragte:
- Hat Täbris unsere Nachricht über Budaschko nicht dem Büro mitgeteilt?
- Leider kam die Nachricht zwei Monate zu spät an, als Budaschko bereits aus Paris abgereist war, - sagte ich.
Dann erzählte ich, wie Budaschko die geheime Linie der Sozialrevolutionäre über Finnland in die Sowjetunion verraten und aufgedeckt hatte. Über die Denunziation und den Prozess unserer Genossen in Armenien, die Gefängnisse und Verbannungen, wussten Bagrat und die Moskauer Genossen. Das hatte die Verbindung unterbrochen.
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Als es dunkel wurde, sagte Bagrat: Lass uns zu Anijew gehen, dem ich die Parolen sagen sollte.
Tigran Anijew war groß, etwas dunkelhäutig, mit sympathischem Gesicht, einer der ehemaligen Offiziere, nach Moskau verbannt. Bagrat ließ mich und Anijew allein im Zimmer. Ich sagte die erste Parole: Die Laterne von Leale'a. Anijew dachte nach, dann sagte er:
- Ich komme nicht drauf...
Ich fühlte mich unwohl, also würden sie mich verdächtigen, dachte ich.
In genau diesem Moment rannte ein dunkelhäutiges, kleines Mädchen herein, einen Ball in der Hand...
- Ah, ich erinnere mich, - rief Anijew aus.
- Genosse Anijew, Sie haben mich gerettet, sagte ich, - sonst...
Wie sich herausstellte, war Leale'a genau der Name dieses Mädchens...
- Gott und die vierzig Teufel sind mit uns, - sagte ich.
- Dro! Dro!, - rief Anijew aus und ging in den Nachbarraum.
Plötzlich sah ich die Genossen Smbat Chatschaturan, Arsen Schahmasian und Bagrat Toptschjan ins Zimmer treten. Ich verstand, dass sie im anderen Zimmer gewartet hatten, dass, falls ich verdächtig sei, sie gehen lassen würden, und falls vertrauenswürdig, hereinkämen.
Ich übermittelte ihnen die Grüße der Büro-Genossen, dann berichtete ich über den 10. Allgemeinen Kongress und das Parteileben. Den Abbruch der Verbindung zur Heimat, die von Budaschko angerichteten Verwüstungen usw.
Ich sagte auch, dass ich zwar ein Transitvisum habe, aber in Jerewan einen Antrag auf Bleiben stellen müsse; einen Teil meiner Mission habe ich hier erledigt, der andere Teil bleibe noch.
Dann sprach nur Smbat Chatschaturan:
"Wir danken für die gegebenen Informationen; du hast deine Pflicht zu 90 Prozent erfüllt, daher bitten wir dich, nicht in Armenien Halt zu machen, sondern direkt nach Persien weiterzureisen und dem Büro Folgendes von uns mitzuteilen:
1) Unsere geheime Organisation in Armenien aufzulösen, zu beseitigen, weil viele Genossen inhaftiert und verbannt werden, die Familien hilflos zurückbleiben; während, wenn diese Genossen in Armenien bleiben, sie mit ihrer Gesinnung auf die Umgebung einwirken werden, die Familien auch nicht im Stich gelassen werden.
2) Die armenischen Bolschewiki in Armenien haben bereits begonnen zu tun, was wir wollten; daher ist eine geheime Organisation nicht nötig", beendete Genosse Smbat Chatschaturan seine Worte und bat erneut, dass ich nach Persien weiterreise.
Ich verabschiedete mich endgültig von ihnen, kehrte mit Bagrat zum armenischen Friedhof zurück.
Bagrats Frau, Frau Ania, war eine angenehme Person, als sie nach meinem Namen fragte, sagte ich: Ananun (Namenlos). Sie war zunächst über einen solchen Namen erstaunt, dann schien sie zu verstehen, danach sagte sie mit besonderer Betonung: Herr Ananun...
Für die Nacht wiesen sie mir das Bett im dritten, unmöblierten, leeren Zimmer zu und schlossen die Tür von außen ab.
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Am nächsten Tag sagte Genosse Bagrat am Morgen: - "Heute Mittag werden wir eine Sitzung des Zentralkomitees haben; du wirst die Mitglieder kennenlernen, berichten und dann ihre Meinungen hören."
Mittags kamen: Genossin Frl. Helene Medzbujean, Kolik (den ich am Vortag gesehen hatte) und Wardojan; diese beiden waren in meinem Alter, während Frl. Medzbujean älter war.
Als Genosse Bagrat mich Frl. Medzbujean vorstellte, sagte ich: - "Sie waren früher Lehrerin in Täbris, nicht wahr?" - "Ja", sagte sie. "Meine Mutter, Jeranuhi Melik Wardanian (jetzt Ter Ohanian), war Ihre Schülerin und hat mir von Ihnen erzählt, ich bin der Sohn einer Sie sehr liebenden Schülerin, aus Täbris" - sagte ich.
Frl. Medzbujean war gerührt, ihr Gesicht hellte sich auf,
"Ich erinnerte mich an Ihre Mutter, sie war ein zierliches Mädchen, sehr lesebegeistert, ich freue mich, Sie kennenzulernen", - sagte sie.
Bagrat sagte, dass Genosse Martiros Zarutjunjan Nachricht geschickt habe, dass er nicht kommen könne, er habe immer einen Grund... (vielleicht ist das besser, dachte ich, falls wir gefasst werden, bleibt er wenigstens frei).
Den Vorsitz bei der Sitzung führte Frl. Medzbujean, scharf und mit kurzen Worten, diese intellektuelle Genossin beeindruckte mich, die ebenfalls nach Moskau verbannt und unter Überwachung stand.
Ich berichtete über die politische Lage, die Beschlüsse des Allgemeinen Kongresses, das Organisationsleben, den Abbruch der Verbindung und andere Fragen. Sie hörten zu, und Frl. Medzbujean wiederholte ebenfalls, dass ich meine Pflichten zu 90 Prozent erfüllt hätte, dass ich nach Persien weiterreisen solle, um das Büro über ihre und die Lage der Heimat auf dem Laufenden zu halten. Sie lebten unter großen Entbehrungen, die Partei habe auch keine finanziellen Mittel. Was die Verbindung per Chiffre betreffe, prüften die Bolschewiki nun die Briefe auch mit chemischen Mitteln. Die Verbindung durch lebende Menschen sei geeigneter, wie meine.
Als die anderen gingen (auch mit ihnen der letzte Abschied...), sagte Bagrat zu mir:
- Tigran Gawarjan, dieser Fedaji aus Taron, ist jetzt verdächtig; ihm wurde heimlich Literatur und Geld aus Täbris geschickt, aber er gab sie keinem Genossen; jetzt sind auch alle unsere Genossen in Alexandropol inhaftiert und verbannt worden, außer Gawarjan... Steige auf keinen Fall in Alexandropol aus.
- Ich habe einen Auftrag bezüglich eines Attentats auf Budaschko, - sagte ich.
Bagrat wurde sehr wütend:
- Genug! Genug!, - sagte er, - wir haben bereits eines durchgeführt, sahen, was daraus wurde...
- Welches? - fragte ich.
- Das auf Dschemal, fast sechshundert Genossen wurden deportiert, ein Teil im Ural-Gefängnis, der andere in den Tiefen Sibiriens, - sagte Bagrat und fügte hinzu, - wir haben gehört, dass Budaschko sich in Tiflis aufhält, steige auch nicht in Tiflis aus.
Ich hörte auf Bagrat, aber in meinem Kopf war die Anweisung des Büros, ich musste die Rechnung mit Budaschko begleichen, aber ich sagte Bagrat nichts mehr davon.
Ich hatte die Anweisungen des Büros in Moskau vollständig ausgeführt, die Chiffren und die Adresse übergeben, berichtet und ihre Ansichten gehört, daher reiste ich aus Moskau ab, nachdem ich zwei Tage dort geblieben war (4.-6. Juli 1922).
Auf der Fahrt von Moskau nach Baku lag ich auf der zweiten, dem Futtertrog zugewandten Pritsche des Zuges, das Gesicht zur Wand, um neugierigen Blicken zu entgehen.
An einer Station im Nordkaukasus, als der Zug hielt, stiegen einige bewaffnete Bergbewohner in den Waggon und forderten die Reisenden auf, aufzustehen:
wir standen auf, sie sahen uns der Reihe nach mit wütenden und durchdringenden Blicken an. Später erfuhren wir, dass sie zwei Personen als Verdächtige mitgenommen hatten...
Ich erreichte Baku früh am Morgen. Ich fuhr mit einer Droschke zur Tochter meiner Tante. Es war 6 Uhr morgens, als ihr Ehemann, Boris, die Tür öffnete und verblüfft blieb, "André, du hier?"... "Ja, ich bin gekommen, um dich und Pertschik zu sehen, ich fahre nach Jerewan", - sagte ich.
Es war offensichtlich, dass beide Angst hatten. Ich beruhigte sie, dass ich nach Jerewan zu unserer Familie fahre, ich wollte sie nach Jahren der Trennung auch sehen. Sie waren Ärzte, Ehemann und Frau, parteilos, in Baku ansässig, hatten einen zweijährigen Jungen, eine russische Kinderfrau kam tagsüber, um auf das Kind aufzupassen, sie selbst gingen zur Arbeit. Ich wies sie an, der Kinderfrau zu sagen, ich sei aus Moskau gekommen. Tagsüber sprach ich auch mit der Kinderfrau auf Russisch, ich hatte gesagt, ich sei aus Moskau gekommen.
Genosse S. Wrazian, ich habe geschrieben, hatte mir den Namen eines Arztes namens Sargsjan gegeben, den ich in Baku treffen sollte; ich fragte Boris, ob es in ihrem Krankenhaus einen Arzt namens Sargsjan gebe; er sagte:
- Es gibt zwei Ärzte namens Sargsjan, welchen meinst du?
- Den Vornamen kenne ich nicht, - sagte ich, und die Sache war damit erledigt...
Wir hatten andere Verwandte in Baku: Mkrtitsch Karapetjan und Grigor Nikoghosjan, der in Täbris Schriftsetzer gewesen war. An Grigor wurde eine Nachricht geschickt, am Abend kam er (er war mit meiner Mutter Kinder derselben Tante). Zu der Zeit, als er in Täbris war, war Grigor Daschnakzagan.
Grigor erzählte, dass er jetzt auch Schriftsetzer sei und sein Zustand als Arbeiter nicht schlecht sei; aber sein Bruder, Mkrtitsch, der Schneider ist, sei unzufrieden und sage, dass er in diesem Land nicht bleiben werde, er werde nach Persien gehen, sich in Enzeli niederlassen.
- Bist du noch der alte Grigor oder nicht? - fragte ich.
- Ich bin der Alte, aber jetzt werde ich hier parteilos genannt, - sagte er.
- Wenn ich in Armenien bleibe, wirst du die Verbindung mit mir aufrechterhalten?
- Natürlich, zumal wir verwandt sind, - sagte er.
Ich dachte: Mkrtitsch, der nach Enzeli gehen wird, wird die Verbindung mit seinem Bruder Grigor halten, und Grigor mit mir.
Ich schrieb einen offenen Brief nach Paris, an Mschot Arzruni, damit er wisse, dass ich Baku erreicht habe; er wird das Büro informieren. Ich unterschrieb mit Arus, diesem Decknamen war ihnen bekannt.
Bei der Abreise aus Baku geschah etwas Merkwürdiges: Ich wusste nicht, dass sich der Bahnhof im zweiten Stock befand; als ich vom Eingang des ersten Stocks hereingehen wollte, schnitt mir eine rote Wache den Weg:
- Wohin gehst du? - sagte er streng.
- Zum Bahnhof, - sagte ich.
- Er ist oben, - sagte die Wache.
Man sagte mir nicht, dass es das Gebäude der Tscheka des Bahnhofs war. Ich wäre mit beiden Beinen in die Falle getappt...
Ich fuhr durch Tiflis, dort war weder ein Genosse geblieben, noch hatte ich etwas zu tun.
Der Zug näherte sich Alexandropol. In mir begann ein Kampf: Aussteigen oder nicht? Einerseits erinnerte ich mich an Rubens Auftrag, Tigran Gawarjan zu treffen, andererseits an Bagrat Toptschjans Worte, dass Gawarjan bereits ein Mann der Tscheka sei....
Ich war in diesen Überlegungen, als zwei bewaffnete Soldaten kamen und sich zu beiden Seiten des Eingangs unseres Abteils aufstellten... Ein Verdacht schoss mir durch den Kopf. Daher beschloss ich, nicht in Alexandropol auszusteigen. Ich dachte: Von Jerewan aus kann ich später, wenn die Genossen es empfehlen, Verbindung mit Alexandropol aufnehmen.
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Als die Droschke vor unserer Wohnung hielt, kam meine Mutter auf den Balkon und rief, als sie mich aus der Droschke steigen sah, überrascht aus: "Mädchen, es ist André!"... Ihr war fast die Sprache verschlagen, weil sie meine Ankunft nicht erwartet hatte; ich hatte, verständlicherweise, auch nicht geschrieben.
Meine beiden Schwestern, Marus und Seda, waren in den Schulferien nach Karadschitschag (Daratschitschag) abgereist; mein mittlerer Bruder Hratsch war an seinem Dienstort, und mein jüngerer Bruder Watsche war Soldat in Tiflis.
Meine erste Handlung war, mich beim Kommissariat für Innere Angelegenheiten als Besucher zu melden. Das Gebäude des Kommissariats befand sich an der Zentralstraße Astafjan (heute Abowjan), im Gebäude des ehemaligen großen Hotels ("Orient"). Ich sagte dem Beamten, ich wolle eine Woche in Jerewan bei meiner Mutter bleiben; mein Visum sei ein Transitvisum. Er gab mir ein Formular, ich füllte es aus, er sagte: "Komm morgen wieder." Am nächsten Tag meldete ich mich, der Beamte sagte: "Es wird genehmigt, nur musst du dich jeden Tag um 12 Uhr hier melden." Ich dankte ihm.
Unsere Leute in Moskau hatten mir gesagt, dass Sahak Torosjan aus der Verbannung nach Jerewan zurückgekehrt sei; und Wardan Mehraban (Wardan von Chanassor) befinde sich in einem Garten in Jerewan.
Ich traf Mihran Grigorjan (der, von dem man sagte, er habe eine Erklärung abgegeben und unsere Leute vertrauten ihm nicht), bat ihn, Sahak Torosjan zu treffen und ihm zu sagen, dass sein Schüler vom "Georgianischen Gymnasium" ihn treffen wolle. Auch Wardan Mehraban, dass ich ihn treffen wolle, ich sei aus Paris gekommen.
Mihran erfüllte meine Bitte. Sahak Torosjan hatte gesagt: "Sogar meine Toilette steht unter Überwachung. Sag André, er soll mich nicht treffen, er würde sich auch selbst gefährden"... Und Wardan von Chanassor hatte gesagt: "Man hat mir einen kleinen Garten außerhalb der Stadt gegeben, den ich bearbeite - um zu leben und mich absolut nicht mit politisch-parteilichen Angelegenheiten zu beschäftigen"...
Alle unsere Genossen waren inhaftiert oder verbannt; und Mihran Grigorjan, der als verdächtig galt, verriet mich nicht.
Ich stellte fest, dass Sahak Ter-Gabrijean, der bolschewistische Führer, mit dem ich über Berg-Karabach und Nachitschewan sprechen sollte, nicht in Jerewan war; er war nach Moskau abgereist. Schon in Moskau hatte mir Genosse Bagrat Toptschjan nicht empfohlen, Ter-Gabrijean in Jerewan zu treffen; er sagte - "Er kommt oft nach Moskau, wir werden mit ihm darüber sprechen."
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Aus Aschchabad (einer transkaukasischen [mittelasiatischen?] Stadt) war unser Verwandter Babgen Ter Ohanjan nach Jerewan gekommen; er hatte an einer Aufführung in Aschchabad teilgenommen, ein Tschekist, der in der ersten Reihe gesessen hatte, hatte sich über Babgen lustig gemacht; und dieser war nach Ende der Aufführung in den Saal gegangen und hatte den Tschekisten mit seinem Messer erstochen...
Babgen war, als Minderjähriger, sechs Monate inhaftiert und dann nach Jerewan verbannt worden, wo er studierte (sein Vater hatte eine Rolle bei der Milderung der Strafe gespielt; Wardan Ter Ohanjan - der Bolschewik war und Bekanntschaften hatte).
Eines Abends saß ich mit Babgen auf einer Bank unter einem Baum im Hof des Clubs, als ich plötzlich sah, wie Budaschko die Treppen des Hofs herunterkam... Ich zog meinen Hut über die Augen, so dass mein Gesicht nicht zu sehen war, flüsterte Babgen zu, er solle den Herunterkommenden gut beobachten. "Wer ist es?", fragte Babgen, ich sagte zu ihm: "Schau genau, ich werde es dir später sagen."
Budaschko ging in Richtung des Clubgebäudes. Ich nahm Babgen und wir verließen den Club. Kurz sagte ich, dass Budaschko ein Provokateur sei, viele Menschen verraten habe, uns auch verraten könne. Dann wies ich Babgen an, mich am Samstagabend zu treffen, ich hätte ihm etwas zu sagen. Ich hatte vor, ihn für das Attentat auf Budaschko einzuspannen...
Am nächsten Tag um 12 Uhr, als ich zum Kommissariat ging, um mich zu melden, war beim Beamten ein Kunde, er sagte, ich solle ein paar Minuten im Flur warten. Ich stand an der Flurwand, als ich plötzlich sah, wie Budaschko durch die Tür am Ende hereinkam...
Ich drehte mein Gesicht zur Wand, als ob ich die große Bekanntmachung läse, die an der Wand hing. Budaschko kam vorbei, dann drehte er sich um, blieb hinter meinem Rücken stehen und sagte:
- André...
Langsam drehte ich mich um, sah ihn an. "Ich kenne Sie nicht, wer sind Sie?", sagte ich.
Er nahm seinen Hut ab und sagte: "Kennen Sie mich nicht, ich bin Budaschko"...
- In Ihren Augen ist etwas zu sehen, - sagte ich; in genau diesem Moment verließ der Kunde das Zimmer des Beamten, ich trat sofort ein. Ich stellte dem Beamten einige Fragen, um Zeit zu schinden, damit der sogenannte Budaschko weggehe.
Ich verließ das Zimmer des Beamten, in der Nähe stand Budaschko....
- André, woran ist mein Onkel, Zowakim Budagjan, in Paris gestorben? - fragte er.
- Er ist an dir gestorben, du Elender, - sagte ich und ging zur Tür.
- Aber Tschamojan sagt, er hatte Syphilis...
- Die Syphilis ist in deinem Gehirn, du Nichtsnutz, der arme Mann ist durch dein Verhalten verrückt geworden, - sagte ich und stieg schnell die Treppe hinunter, entfernte mich.
Am Samstagmittag, als ich mich beim Kommissariat meldete, sagte ich zum Beamten: "Ich möchte in Armenien bleiben, was muss ich tun?"
Er gab mir ein Blatt Papier: "Schreiben Sie im Nachbarzimmer einen Antrag, bringen Sie ihn mir", - sagte er.
Ich ging in den Nachbarraum, wo niemand war. Ich hatte meinen Antrag noch nicht unterschrieben, als ein Tschekist in Militäruniform hereinkam und sagte: "In Ihrem Pass ist etwas nicht in Ordnung, kommen Sie mit." Ich erkannte ihn, er war einer der aus Alt-Dschugha nach Täbris Ausgewanderten namens Mischa Aghamalow. "Wie auch immer, kommen Sie mit mir", - sagte er.
Ohne den Antrag unterschrieben zu haben, steckte ich ihn in meine Tasche und folgte ihm.
Wir gingen nach unten, eine Droschke wartete, wir stiegen ein: "Fahr zur GPU", - sagte der Tschekist; der Kutscher zögerte. "Na, ich meine Tscheka, verstehst du?", - sagte der Tschekist. Der Kutscher fuhr panisch los.
- Ich kenne Sie aus Täbris. Sie leiteten den Regionalkongress der Daschnaks. Ich lebte im Hof des Sekretärs des Zentralkomitees der Daschnaks, Mikayel Stepanjanenz; ich habe seine Protokolle gelesen, wenn er nicht zu Hause war. Wir haben gehört, dass Sie in Moskau waren...
- Ich kenne auch Ihre Schwester; ein Mädchen mit krausem, schwarzem Haar, sie hatte das große Porträt von Srbasan Melik-Tangjan gezeichnet, - sagte ich.
Der Tschekist sprach nicht mehr, weil der Name Melik-Tangjan sehr gefährlich war; auch Gegham Schmawonjan, der Bolschewik war, war inhaftiert worden, weil er, als er Lehrer in Täbris war, bei Melik-Tangjan gewesen war.
(1922 hatten die Sowjets verlangt, dass der Diözesanleiter der Armenier von Aserbaidschan, Erzbischof Nerses Melik-Tangjan, nach Etschmiadsin zurückkehre. Die armenische Gemeinde von Täbris hatte eine Demonstration organisiert, die Hauptakteure waren Tarlan Badschi und Sabel Badschi, die riefen: "Wir werden nicht zulassen, dass unser Erzbischof geht, wir wollen den Erzbischof als unseren Leiter." Und der Erzbischof ging nicht. Die Sowjets erklärten ihn für "vogelfrei"...).
Sie steckten mich in ein leeres Zimmer im oberen Stock des neuen GPU-Gebäudes in Jerewan, es gab nicht einmal einen Stuhl. Mehr als zwei Stunden blieb ich dort auf den Beinen.
Sie brachten mich in ein kleines Zimmer im unteren Stock, hinter einem Tisch saß ein Tschekist, ein anderer begann, mich auf das Genaueste zu durchsuchen; als seine Hand auf den harten Knoten des Gummibands meiner Socke stieß, die sich in meiner Hose befand, wurde er argwöhnisch. "Was ist, glauben Sie, es könnte eine Bombe sein?", sagte ich, und mein Blick traf den des hinter dem Tisch sitzenden Tschekisten; dieser gab mir mit den Augen zu verstehen, dass ich so etwas nicht sagen solle...
Am 14. Juli 1928 wurde ich verhaftet; an jenem Abend (ein Samstag) hätte ich mich mit Babgen treffen sollen... "Der Freitag kam vor dem Samstag", wie das Volkssprichwort sagt...
Das alte GPU-Gefängnis in Jerewan war ein ärmliches Gebäude, bestehend aus ein paar ebenerdigen Kellern, und darüber fünf Kammern (Zellen), backsteingemauert, ein kleiner Hof, trocken und staubig, in einer Ecke des Hofs die Küche, daneben die Toilette mit Lehmwänden, schmutzig, kein Platz, um einen Fuß hinzusetzen... An der Hofmauer war der Waschplatz, eine Schüssel und ein Wassergefäß.
Sie brachten mich zu einer Zelle in der Nähe des Hoftores, in die kein Licht drang; es gab nur ein hölzernes Podest. Es gab Ameisen in der Kammer.
Ich legte mich auf das trockene Podest. Von Zeit zu Zeit öffneten die Tschekisten die Tür, beobachteten mich und gingen, ohne zu sprechen. So blieb ich die Nacht über.
Am Morgen, als der Kljutchnik (der Aufseher mit dem Gefängnisschlüssel) mich zum Waschen herausholte, als ich das Sonnenlicht sah, war es, als ob man mir ein Messer in die Augen stach... Ich hatte plötzlich Licht nach der Dunkelheit gesehen; danach, wenn man mich herausholte, bedeckte ich meine Augen mit der Hand, dann öffnete ich sie vorsichtig, um nicht wie am ersten Tag Schmerzen zu haben.
Am zweiten Tag brachte man mich ins Erdgeschoss des Gebäudes, wie eine Höhle, dort war ein kleines, hoch gelegenes Gitterfenster, durch das Licht in die Kammer fiel.
Am vierten Tag steckte man mich in die Zelle auf der linken Seite des ersten Stocks, die mehr Licht hatte.
Meine Mutter schickte Bettzeug und Essen; aber ich hatte starken Durchfall bekommen, damals bekamen diejenigen, die aus Europa in den Osten kamen, diese Krankheit wegen der unterschiedlichen Nahrung; in Europa verwendete man Pflanzenöl, im Osten aber tierisches Öl, natürlich [tierisch]. Ich aß nichts, hatte Blutungen, so vergingen sechs Tage, der Durchfall hörte auf.
Einmal am Tag wurden wir in den Hof geführt, um spazieren zu gehen... es gab keinen Platz zum Spazieren, der Hof war sehr klein. Während dieses Spaziergangs beobachteten die Gefangenen der Nachbarzellen durch die Ritzen, wer der neue Gefangene sei.
In den Ritzen des Podests in meiner Zelle waren Hunderte von Wanzen, die mich Tag und Nacht quälten. Wenn sie heißes Wasser für Tee gaben, goss ich Wasser in die Ritzen meines Podests, damit die Wanzen zugrunde gingen, aber das half auch nicht...
Das Mittagessen war eine farblose Suppe, anstelle von Fleisch - Knochen und Sehnen; später erfuhr ich, dass der Gefängniskoch das wenige vorhandene Fleisch selbst aß und den Gefangenen die Knochen und Sehnen gab.
Meiner Mutter war erlaubt worden, mir zweimal pro Woche Essen zu schicken...
Man brachte mich in eine andere Kammer, deren Fenster zum Hof zeigte, und wenn man die Gefangenen der Nachbarzellen zum Spaziergang führte, konnte ich sehen, wer sie waren. In jenen Tagen sah ich Artasches Mirsojan; auch er hatte mich bereits gesehen, als ich zum Spaziergang geführt wurde; das Fenster seiner Kammer zeigte auch zum Hof, er war in der Kammer am Ende.
Sie brachten mich in eine andere Kammer, deren Fenster zum Hof zeigte, und zu den Gefangenen der Nachbarzellen; wenn man sie zum Spaziergang führte, konnte ich sehen, wer sie waren. In jenen Tagen sah ich Artasches Mirsojan; auch er hatte mich bereits gesehen, als ich zum Spaziergang geführt wurde; das Fenster seiner Kammer zeigte auch zum Hof; er war in der Kammer am Ende.
Artasches Mirsojan (aus Taron) war mit den Exilanten der Republik Armenien nach Täbris gekommen; er stand Haik Asaturean nahe, daher waren wir uns nahegekommen; Artasches hatte sich durch Selbststudium weitergebildet und war ein echter Volksführer, ein guter Daschnakzagan, ein reiner und guter Armenier. 1923 hatte ihn die Partei von Täbris in die Sowjetische Armenien geschickt, für Organisationsarbeiten, dann war er inhaftiert worden. Er hatte eine schwere Lungentuberkulose...
Als er vor meinem Fenster vorbeiging, warf er einen Papierknäuel herein; ich öffnete ihn, er hatte geschrieben: "Mein Lieber, ich werde einen Brief in die Lehmwand der Toilette stecken, tu du dasselbe." Daraufhin begann unser Briefwechsel. Ich schrieb, indem ich auf seine Fragen antwortete, über das Leben im Ausland; über mich selbst schrieb ich nichts.
Wir hatten zwei Aufseher. Einer, namens Jakob, war grob und ungebildet; der andere, namens Aram, hatte ein sympathisches Gesicht und ein gutes Verhalten; es war offensichtlich, dass er mich mochte, und ich war auch sehr höflich zu ihm.
Eines Tages, als man mich zum Spaziergang in den Hof führte, kaum war ich aus der Toilette gekommen, stellten mich zwei russische Wachen hin, riefen Aram und sagten: Durchsuche diesen... Aram begann zu suchen, meine Taschen, die Taschen meiner Unterhose, und als er an meine Füße und Schuhe kommen sollte, sagte ich: "Na, Aram, du hast überall geschaut, es reicht..."
Aram durchsuchte meine Schuhe nicht, sagte den Soldaten, dass nichts da sei... sie ließen mich gehen, kaum war ich in meiner Zelle, zog ich den Brief aus meinem Strumpf und versteckte ihn in einem Spalt des Backsteinofens in der Wand. Ich atmete erleichtert auf, Aram hatte mich gerettet* (Als ich zwei Jahre später nach Persien ausgewiesen wurde, beschrieb ich 1931 im "Dsaysaber", unserer Zeitung in Ägypten, das GPU-Gefängnis von Jerewan in einer Artikelserie mit dem Titel "Unter eisernen Fersen". Ich hatte unterschrieben: A. Amurian. (A.A.)).
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In meine Zelle brachten sie einen kaum zwanzigjährigen jungen türkischen Hirten, einen "Zyr Tschoban", wie man sagt. Er hatte in seinem Dorf einen Menschen getötet, lebte in Todesangst, nachts sprang er manchmal im Bett auf, phantasierte. Er war verlaust; wenn er seine Mütze aus Schaffell mit einer Hand gegen die andere schlug, verteilten sich die Läuse auf dem Boden...
Später brachten sie einen anderen Türken und zwei bolschewistische Armenier in meine Zelle, die, wie es schien, Tschekisten waren. Der Ältere hieß Abraham, der andere jünger, namens Nerses, mit scharfem, kurzem Bart, die Haare nach hinten gekämmt, ähnelte Trotzki, sagte Abraham. Nerses' Eitelkeit wurde geschmeichelt; in jenen Tagen hatte Trotzki noch Anhänger, von denen später.
Nerses war empört, dass man ihn inhaftiert hatte, sagte, er habe die Befugnis auf der Eisenbahnlinie Tiflis-Leninakan gehabt, sogar den Zug anzuhalten, und nun hatte man ihn inhaftiert, er sagte nicht, aus welchem Grund. Er prahlte damit, welche Erfolge er bei Frauen gehabt habe...
Der neue türkische Gefangene war bei der Grenzüberschreitung in sowjetisches Gebiet verhaftet worden; in jenen Tagen hatte der kurdische Aufstand am Ararat bereits begonnen; der Türke sagte: "Dedlar ki Daschnak gelip Agri dagha"... (Man sagte, ein Daschnak sei zum Ararat gekommen). Diese Nachricht begeisterte mich innerlich. Der 10. Allgemeine Kongress der A.R.F. 1925, als die Frage des kurdischen Aufstands am Ararat aufkam, hatte beschlossen: "Den Aufstand am Ararat zu unterstützen...". So hatte auch das Büro gehandelt; es hatte angewiesen, Genosse Artasches Melkonjan zu schicken, und für kurze Zeit auch Wahan Galstjan (Schwarzer Wahan). Die Türkei war großen Kosten ausgesetzt und erlitt Verluste, konnte den Aufstand nicht unterdrücken* (Über das Ende des kurdischen Aufstands am Ararat werde ich später, an geeigneter Stelle, schreiben. Er endete 1930. A.A.). Abraham sprach über etwas mit Nerses, dann wandte er sich mir zu: "Ich bin einer von den Daschnaks...". Ich tat so, als hörte ich nicht, dachte aber, dass ich noch viel Derartiges von diesen Elenden hören müsste.
Die ebenerdigen Gefängniszellen füllten sich mit jungen Trotzkisten, Lärm, Geschrei, Parolen, dann auch die "Internationale", ihre Hymne. Es erweckte den Eindruck, als ob es die Demonstrationen der "Schachsé-Wachsé" der Mohammedaner wären.
Aus meiner Zelle nahmen sie alle Gefangenen fort, brachten einen jungen Trotzkisten, dessen Gesicht wie das einer Bulldogge war, die Nase kurz, die Lippen aufgeworfen, die Stimme gebrochen. Er schrie sich den anderen an und brüllte: "Warum habt ihr mich zu einem konterrevolutionären Daschnak gesteckt..."; ich sprach überhaupt nicht mit ihm; sie kamen und nahmen auch ihn fort, brachten einen anderen, der Atschojan hieß, gebürtig aus Van. Auch er war ein Anhänger des Sozialdemokraten David Ananun; Sinowjew hatte über ihn gesagt: "In Armenien existiert ein Atschojanertum...". Und das hatte seine Eitelkeit geschmeichelt. David Ananun hatte ein Werk: "Die gesellschaftliche Entwicklung der Russland-Armenier", das ein ernsthaftes Werk ist; er war mit einigen seiner Anhänger nach Sibirien verbannt worden und starb dort...
Als man die Trotzkisten zum Spaziergang in den Hof führte, bemerkte ich zwei bekannte Gesichter: Eines war der mittlere Bruder des Dichters Garnik Kealaschan, Nikol Kealaschan, den ich aus Etschmiadsin kannte; der andere, ein junger Mann namens Sasun, der in Köprüköy gewesen war, als Freiwilliger; er war Briefträger gewesen, man hatte ihm ein Pferd gegeben, er hielt die Verbindung zwischen unserem Stab in Köprüköy und dem Dorf Yashan.
Weder sie grüßten mich, noch ich sie; insbesondere für sie wäre es sehr gefährlich gewesen, mit mir bekannt zu sein. War ich doch ein Daschnak. Einmal, als Artasches Mirsojan vom Spaziergang im Hof zurückkam und vor den Zellen der Trotzkisten vorbeiging, sagte er mit gebrochener Stimme: "Lasst euch taufen, lasst euch taufen..." Diese Worte des daschnakzaganischen Gefangenen hörten sie UND schwiegen; sie sollten sich wirklich taufen lassen; denn sie waren noch "Panjuni" (Ungetaufte, Neulinge), sie hatten noch viel zu lernen.
In den letzten Sitzungen des 10. Allgemeinen Kongresses (in Paris) erhielten wir ein Telegramm von unseren Genossen in Rumänien, dass ein Student aus der Sowjetunion die Grenze überschritten habe und zum Allgemeinen Kongress kommen wolle. Es wurde ihnen telegrafiert, dass es bereits zu spät sei; der Kongress werde geschlossen.
Eines Tages ging ich von zu Hause zur Universität, als mich auf der Straße einer von kaum mittlerer Statur, mit schwarzen, großen Augen, fast kahlköpfig, anhielt:
- Sie sind André, nicht wahr? - fragte er.
- Ja, aber wer sind Sie? Ich kenne Sie nicht, - sagte ich.
- Ich bin der Student, Budaschko * (* dies war der Kurzname von Harutiun Budaghjan), der aus dem Sowjetland nach Rumänien geflohen ist; ich hätte zum Allgemeinen Kongress kommen sollen, aber ich war zu spät, dann kam ich nach Paris, lernte die Protokolle des Kongresses kennen, in denen auch Sie Einträge hatten. Genosse Ruben hat mir einen Brief gegeben, dass ich die Leitung der russischen Sozialrevolutionäre in Prag treffen soll, sie sollen mich auf ihrer geheimen Linie in die Sowjetunion schicken. Genosse Ruben sagte, ich solle Sie treffen, Sie sollen mich zum Zentrum der Sozialrevolutionäre bringen.
- Morgen, zu dieser Zeit, warte hier auf mich, wir werden zum Zentrum der Sozialrevolutionäre gehen, ich werde dich vorstellen; bis dahin sollst du auf keine Weise unsere Studenten treffen, denn du hast eine geheime Mission, du darfst dich nicht zeigen, - sagte ich, und wir trennten uns.
Am nächsten Tag trafen wir uns, ich brachte ihn zum Zentrum der Sozialrevolutionäre, er übergab Genosse Rubens Brief; sie stimmten zu und wiesen ihn an, in zwei Tagen wiederzukommen, damit sie ihn auf den Weg schicken könnten.
Am nächsten Tag, als ich das "Studentenheim" betrat, sagten die aus Armenien exilierten Studenten: "André, Budaschko ist aus der Heimat gekommen, wir haben ihn getroffen...". Ich war innerlich wütend, dann sagte ich: "Ich kenne niemanden namens Budaschko" und ging sofort fort.
Am Abend schlenderte ich um das "Studentenheim" herum, um den sogenannten Budaschko zu treffen, und ich traf ihn.
- Komm, lass uns gehen, ich habe etwas mit dir zu besprechen, - sagte ich.
Ich betrat eine Bierstube, setzte mich in eine Ecke, hinter einen Tisch, Budaschko mir gegenüber, und begann, ihn zu beschimpfen:
- Was für ein geheimer Aktivist bist du? Habe ich dir nicht gesagt, du sollst niemanden treffen? Jetzt hast du dich gezeigt und die geheime Mission gefährdet. Es tut mir leid, dass ich dich dem Zentrum der Sozialrevolutionäre vorgestellt habe... - sagte ich streng.
- Ich ging die Straße entlang, zufällig trafen mich die Jungs, - begann er, sich zu rechtfertigen.
In diesem Moment betrat ein russischer Intellektueller, der ein Bierglas in der Hand hielt, betrunken und eine Rede haltend, schwankend unseren Tisch, sah Budaschkos Gesicht an und sagte:
- Ach, du Kaukasier, deine Augen... sind verdächtig.
Angesichts dieser Worte des Russen verschärfte sich mein Verdacht gegenüber Budaschko, daher sagte ich:
- Ich habe nichts mehr mit dir zu tun, du sollst mir nicht vor die Augen kommen, - und, nachdem ich das Bier bezahlt hatte, verließ ich schnell die Bierstube.
In unserer Wohnung erzählte ich Gaspar, der am Allgemeinen Kongress teilgenommen hatte, alles und fügte hinzu, dass ich Gaspar nicht einmal von Budaschko erzählt hatte, weil Genosse Ruben nur mir anvertraut hatte, ihn den Sozialrevolutionären vorzustellen.
- Du hast gut gehandelt, dass du die Verbindung mit ihm abgebrochen hast. Wer weiß, was für ein Typ das ist.
(Später werde ich wieder Anlass haben, über Budaschko zu schreiben, an geeigneter Stelle). A.A.
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In meine Zelle brachten sie den ehemaligen Tschekisten Mischa Safrasbekow, aus Sangesur. Er war Leiter einer Sonderabteilung der Tscheka in Armenien gewesen, jetzt Gefangener. Gleich als erstes sagte er: "Was auch immer ich erfahre, muss ich oben melden...". Das war bereits die "heilige Pflicht" jedes Bolschewiken...
Später sagte Mischa in einem Gespräch: "Lenin hat gesagt: Wer Bolschewik ist, ist Tschekist. Wer nicht Tschekist ist, ist nicht Bolschewik." Der Mann ließ durchblicken, dass, obwohl er ein Gefangener sei, er ein Spitzel sei, da er Bolschewik sei.
Ich war in meinen Äußerungen sehr zurückhaltend und tat so, als verstünde ich nicht viel von Politik.
Mischa, mit pockennarbigem Gesicht, kahlköpfig, aber mit heimtückischem Charakter. Jeden Tag erhielt er die Tageszeitung "Sowjetisches Armenien", ich bestellte sie auch.
Manchmal regte sich Mischa sehr auf und wurde wütend über die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen und schimpfte auf Mughdusi, den Assistenten des Tscheka-Vorsitzenden Melik Osipow.
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Für Mischa brachte seine Frau Lesebücher, und siehe da, eines Tages brachte sie die ins Russische übersetzten Memoiren des türkischen Massenmörders und Ittihadisten Dschemal Pascha.
Dschemal Pascha war 1923 in Tiflis einem Attentat unterzogen worden, organisiert vom Zentralkomitee der A.R.F. Georgiens, genau in der Tscheka-Straße. Die Tscheka hatte fast sechshundert Daschnakzagan und Sympathisanten inhaftiert, aber die Attentäter nicht genau identifizieren können.
Inhaftiert worden waren daschnakzaganische Führer: Korjun Ghazasan, Bagrat Toptschjan, Minas Makarjan, später auch Tigran Awetisjan. Letzterer hatte sich zunächst versteckt. In der Befürchtung, dass die Tscheka unsere Genossen erschießen könnte, hatte Tigran etwa fünfundzwanzig Genossen aus dem Bezirk Dilidschan nach Tiflis gerufen und dann der Tscheka gedroht, dass, falls irgendein Daschnakzagan erschossen werde, man die Tscheka in die Luft jagen würde... Die Tschekisten waren wütend geworden, aber in Kenntnis der Stärke des Terrors der Föderation hatten sie Gefängnis und Verbannung beschlossen (ich schrieb bereits auf vorherigen Seiten, dass ich in Moskau mit Genosse Bagrat Toptschjan über Dschemal gesprochen hatte).
Als ich bei Mischa Dschemals Memoiren sah (ein Buch von 3-400 Seiten), obwohl mein Interesse sehr geweckt war, tat ich gleichgültig. Mischa las und machte Ausrufe. Ich war schweigsam und gleichgültig. Drei-vier Tage vergingen so, schließlich sagte Mischa zu mir: "Du musst dieses Buch lesen." Was für ein Buch, fragte ich. "Die Memoiren von Dschemal Pascha", sagte er. Wie interessant ist es, die Memoiren eines Paschas zu lesen, sagte ich und betonte das Wort Pascha. "Wenn du liest, wirst du sehen, dass es interessant ist", sagte er und gab mir das Buch.
Die Sowjets hatten Dschemals Memoiren übersetzt, um das Andenken des Massenmörders zu verewigen, des blutrünstigen Kameraden Enver Paschas und Talâat Paschas, die eineinhalb Millionen unschuldige Armenier massakriert hatten.
Der Fall von Dschemals Memoiren erweckte in mir den Verdacht, dass die Tscheka meinen Namen mit dem Attentat in Verbindung bringen wollte. Während späterer Verhöre sah ich, dass der Untersuchungsführer besonders auf meinem Aufenthalt 1922-1923 bestand...
Also verdächtigten sie mich, dass ich angeblich 1922-23 über Batum nach Tiflis gekommen sei, den Befehl für Dschemals Attentat überbracht habe und jetzt über Moskau gekommen sei, vielleicht mit dem Befehl für ein weiteres Attentat...
Ich las die Memoiren mit großem inneren Interesse. Dschemal Pascha hatte ständig versucht zu beweisen, dass die osmanische Regierung sich den Armeniern gegenüber gut verhalten habe, sogar 1861 eine Verfassung gegeben habe, die kein anderer Staat seiner nationalen Minderheit gegeben habe...
Als ich das Buch beendet hatte, fragte Mischa: "Na, war es nicht interessant?" Ich konnte mich nicht mehr beherrschen und sagte: "Es ist so interessant, dass solche Leute, nachdem sie eineinhalb Millionen Armenier massakriert haben, immer noch schreiben, dass sie sich den Armeniern gegenüber gut verhalten haben"... Und zu meinem großen Erstaunen begann Mischa, von Andranik zu erzählen, dass, als er nach Sangesur gegangen sei, er Mankis eingenommen habe, die größte Festung der Türken, die vor ihm niemand hatte einnehmen können.
Mischas Frau brachte auch eine Arbeit von Friedrich Engels. Mischa las, machte begeisterte Ausrufe, dann wandte er sich mir zu und fragte:
- Kannst du sagen, womit sich die Wissenschaft beschäftigt?
- Die Wissenschaft beschäftigt sich nicht mit Anfang und Ende, sondern mit dem, was ist, - sagte ich.
- Warum? - fragte Mischa.
- Um nicht in den Schoß der Metaphysik zu fallen, - sagte ich.
- Wa! Das Gleiche hat Engels hier geschrieben, sieh. Woher weißt du das? - sagte er erstaunt.
Nach dieser Frage und Antwort begann Mischa, mich mit Respekt zu behandeln.
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Ich trug meine alte Studentenjacke. Mischa packte den Kragen und sagte: "Dieser Stoff ist europäisch" und drehte meinen Kragen um und war verblüfft... Auf der Innenseite meines Kragens war mit einer Nadel eine kleine Trikolore angebracht, die ich beim Ausziehen nicht bemerkt hatte und die dort geblieben war... "Was ist das, to?", rief er aus. Ich verlor nicht die Fassung: "Bei Versammlungen befestigt man solche Abzeichen an der Brust der Leute, daher kommt das"... sagte ich; in genau diesem Moment stand der Aufseher Aram an der Tür unserer Zelle; Mischa wandte sich an ihn: "Aram, geh und erzähl einen Witz". Ich weiß nicht, ob Aram die Fähnchen auf meiner Brust sah oder nicht, er ging.
Als Mischa zu einem Besuch mit seiner Frau gerufen wurde und ich allein blieb, hatte ich eine Krawatte, die farbige Streifen hatte; ich schnitt ein Stück davon ab und steckte es in meine Tasche, falls sie fragten, würde ich sagen, das habe er gesehen. Aber das Fähnchen brachte ich nicht übers Herz, es zu zerstören, sondern steckte es in einen Spalt des zerfallenen Backsteinofens (Kamina) in der Wand, so dass, selbst wenn sie suchten, sie es nicht bemerken würden.
Zu meinem großen Erstaunen sagte der Untersuchungsführer der Tscheka nichts darüber. Hatten Mischa und Aram es nicht gemeldet, oder war die Tscheka nachsichtig, weil das Fähnchen nicht in ihre Hände gelangt war? Bis heute ist es mir ein Rätsel geblieben.
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Mischa hatte begonnen, sich mit dem Lösen algebraischer Probleme zu beschäftigen; ich spürte, dass das sehr gefährlich war. Seinen Aufforderungen, mich auch damit zu beschäftigen, wich ich entschieden aus, mit der Begründung, ich hätte keinen Kopf für Algebra.
Die Gefahr lag darin: Die algebraischen Buchstaben, Zahlen und Zeichen ähneln Chiffren (Geheimschrift, Code); selbst die einfachste Formel konnte zu einer Anklage werden, dass ich angeblich chiffrierte Briefe geschrieben habe. Später, in der Metechi-Festung in Tiflis und im Isolator von Jaroslawl, versuchten Spitzel, mich zum Schreiben zu bringen, ich wich aus; zumal ich Chiffren an unsere Genossen in Moskau übergeben hatte (darüber habe ich auf vorherigen Seiten geschrieben).
Mischas dieser Versuch scheiterte ebenfalls. Ich war sehr zurückhaltend, wog meine Worte und sprach dann.
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Die Tageszeitung "Sowjetisches Armenien", die Mischa erhielt, las ich auch. In der Zeitung begegnete ich Namen, die mir bekannt waren: Der Armenologe Manuk Abeghjan, mein ehemaliger Lehrer, Dozent an der Universität Jerewan. Hratschja Atscharean - Armenologe-Sprachwissenschaftler, Dozent. Grigor Ghapanzjan - Armenologe-Sprachwissenschaftler, Aschot Howhannisjan - Sekretär der Kommunistischen Partei Armeniens (Historiker). Poghos Makinzjan - kommunistischer Aktivist, der sich meist in Tiflis und Moskau aufhielt. Der ehemalige Gymnasiallehrer Muschegh Santrosjan - Pädagoge-Psychologe. Mein ehemaliger Klassenkamerad Nahapet Kurghinjan - Mitglied des Politbüros. Haikas Ghasarjan - ehemaliger Gymnasiallehrer, kommunistischer Aktivist. Nshan Makunz - ehemaliger Gymnasiallehrer, kommunistischer Aktivist.
Über diese Personen weiß ich Folgendes: Manuk Abeghjan war von Aschot Howhannisjan (mit der Drohung von Gefängnis und Verbannung) gezwungen worden, eine neue Rechtschreibung des Armenischen zu erstellen. Hratschja Atscharean hatte man aufgefordert, die Dialektik in die Sprachwissenschaft einzuführen; ich war noch in Paris, als ich in der Zeitung "Sowjetisches Armenien" eine Karikatur Atschareans sah, darunter seine Worte: "Deine Dialektik, füge sie ein, wo du willst, aber nicht in meine Sprachwissenschaft...". Und man hatte ihn inhaftiert. Auch Grigor Ghapanzjan war kein Kommunist und man hatte ihn schikaniert. Aschot Howhannisjan hatte man während der stalinistischen Säuberungen nach Sibirien geschickt (er war noch gut davongekommen... seine anderen Kameraden hatte man erschossen), erst nach Stalin kam er nach Armenien zurück.
Poghos Makinzjan hatte man mit einer Mission nach Konstantinopel geschickt, dann zurückbeordert – und erschossen.
Muschegh Santrosjan war immer Dozent geblieben.
Nahapet Kurghinjan kam während der stalinistischen Säuberungen um. Haikas Ghasarjan und Nshan Makunz ebenfalls.
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Mischas Eitelkeit wurde geschmeichelt, wenn ich sagte: "Du scheinst ein erfahrener Tschekist zu sein...". Er begann, über die Methoden der Tscheka zu erzählen. "Wir haben von japanischen Methoden gelernt. Zum Beispiel 'Dschudschuban'" und er erklärte: "Der japanische Geheimdienst heißt 'Drache'. Wenn jemand von außen nach Japan geht, folgt ihm der Spion auf jedem Schritt, sogar bis zur Toilette; schließlich verlässt der Besucher verärgert das Land. Unsere Tscheka hat besondere Schulen, um Tschekisten auszubilden; ich bin ein Absolvent dieser Schulen", sagte Mischa.
Einmal kam ein Tschekist namens Perederejew zu Mischa; sie sprachen über seine Anschuldigung: "Der sogenannte Mughdusi hat beschlossen, mich zu vernichten", sagte Mischa. Sie sprachen Russisch. Beim Gehen versprach Perederejew Mischa, das Mögliche zu tun; dann warf er mir einen schielenden Blick zu und ging. Er war Armenier, russischsprachig.
Einmal kam wieder die Sprache auf die Türkei; ich sagte: "Kars und Ardahan sind armenisch, wurden aber der Türkei überlassen." Mischa antwortete: "Jetzt ist nicht ihre Zeit, wenn die Zeit kommt, werden wir sie zurücknehmen. Man muss geduldig sein...".
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Meine Mutter schickte mir zweimal pro Woche Essen; im Annahmebüro untersuchte ein Tschekist das Essen; wenn es Gata (süßes Brot) gab, zerbrach er es vor mir, um zu sehen, ob nichts darin versteckt war; ich erhielt die Brocken der Gata... sogar die Erdnüsse wurden durchgeschnitten; so streng war die Untersuchung, und unter den Gefangenen waren auch Spitzel platziert. Es herrschte eine Atmosphäre des Misstrauens, es war schwer zu unterscheiden, wer ein echter Gefangener war und wer ein Spitzel.
Am ersten Tag meiner Verhaftung, als man mich im unteren Raum der Tscheka durchsuchte, stand neben dem am Tisch sitzenden Tschekisten ein anderer Tschekist; der sitzende Tschekist begann, mich zu verhören und das Protokoll auszufüllen: Name, Nachname, Geburtsdatum, Geburtsort; ich antwortete; in diesem Moment trat der am Tisch stehende Tschekist für eine Sekunde in den Nachbarraum, der verhörende Tschekist fragte mich schnell:
"Du bist parteilos, nicht wahr?" Ich war erstaunt. Ich sagte: "Sie sagten..." Er schrieb parteilos; in diesem Moment hatten die anderen Fragen keinen politischen Charakter, ich sagte, ich sei mit einem Transitvisum nach Jerewan gekommen, habe die Erlaubnis erhalten, eine Woche zu bleiben, hätte mich jeden Tag um 12 Uhr beim Kommissariat für Innere Angelegenheiten gemeldet, das letzte Mal, als ich den Wunsch geäußert habe, für immer zu bleiben, habe der Beamte mir ein Formular gegeben, einen Antrag zu schreiben; meinen noch nicht unterschriebenen Antrag hätte man mir bei der Verhaftung abgenommen; als ich das sagte, gab ich dem Verhörführer meinen unterschriebenen Antrag.
Das zweite Verhör war formeller Natur; wir gingen in ein Büro im oberen Stock. Hier waren Wartanjan, der Assistent des Tscheka-Vorsitzenden Melik Osipow, und ein anderer Tschekist; auf dem Schreibtisch sah ich übereinandergestapelte Ausgaben des "Droschak". Ich hatte in ihnen Artikel mit der Unterschrift "André".
Als Wartanjan das Zimmer verlassen wollte, sagte er zum Tschekisten: "Gib ihm den 'Droschak', er soll lesen." "Ich brauche ihn nicht, Sie sind an der Reihe zu lesen", - sagte ich zum Tschekisten...
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Es war der 29. September 1928; ein Rotarmist brachte mich auf den Balkon im dritten Stock des Tscheka-Gebäudes, sagte: Warte einen Moment, er klopfte an eine Tür, ich blickte zurück und sah den Ararat in seiner ganzen Pracht...
Es war das beseelte Armenien, der Traum der Armenier; nach der Dunkelheit des Gefängnisses schien es mir angesichts dieses betäubenden Anblicks, als ob der Ararat in mich eingezogen sei; ich fühlte eine außergewöhnliche seelische Kraft; in diesem Moment drehte sich der russische Soldat um und sagte: "Tritt ein."
Kaum war ich eingetreten, sah ich, dem Tisch des Verhörführers gegenüber, mit dem Rücken zur Tür, durch die ich eingetreten war, den sogenannten Provokateur Budaschko sitzen, gekleidet in einer Art Tolstoi-Bluse, von verblasster roter Farbe... Wut überkam mich, als ich ihn sah.
An das Fenster des Zimmers gelehnt, auf einem Fuß sitzend, war ein russischer Militär, die rechte Hand auf der Pistole.
Der Verhörführer war Lewon Margarjan, der, der zu mir gesagt hatte: "Du bist parteilos, nicht wahr?"
- Setz dich zu ihm, - sagte mir mein Verhörführer.
- Ich setze mich nicht zu ihm, - sagte ich entschieden.
- Er ist ein Gefangener, setz dich zu ihm, - sagte er.
- Das ist gelogen, er ist kein Gefangener, ich setze mich nicht zu so einem, - sagte ich.
Der Verhörführer stand auf, holte den Stuhl in seiner Nähe und stellte ihn in die rechte Ecke des Tisches; ich setzte mich dort hin.
Der Verhörführer begann, auf Budaschko zeigend:
- Dieser sagt, er war mit dir auf der Konferenz der Daschnaks in Paris...
- Dieser Elende lügt, ich war mit ihm auf keiner Versammlung, - sagte ich und stürzte mich auf Budaschko; - In diesem Moment liefen sowohl der russische Tschekist als auch mein Verhörführer auf mich zu. "Raus, raus", sagte mein Verhörführer zu Budaschko, der sofort verschwand. Dann wandte sich mein Verhörführer wütend an mich:
- Was erlaubst du dir, einen Gefangenen anzugreifen...
- Er ist kein Gefangener, er ist ein betrügerischer Lügner, er wird Sie und jeden anderen betrügen, - sagte ich. Der Verhörführer setzte sich und sagte:
- Also hast du nicht an der Konferenz der Daschnaks teilgenommen, nicht wahr? - fragte er.
- Ich habe teilgenommen, aber das dürft ihr nicht wissen, - sagte ich.
Der Verhörführer sagte:
- André... André... also hast du teilgenommen, - sagte er mit offenem Bedauern... (er wollte mich schonen, das war das zweite Mal).
Er schrieb das Protokoll, ich unterschrieb. Mit dieser meiner Aussage würde meine Sache schwerer werden, aber ich war auch mir selbst sicher und entschlossen.
Meine Aussage über Budaschko, dass "er Sie und jeden anderen betrügen wird", die Tscheka ist sehr misstrauisch, sie hätte denken müssen, dass Budaschko ihnen nicht alles gesagt hatte, und hätte ihn schikanieren müssen.
Man brachte mich in meine Zelle zurück.
In derselben Nacht, nach 12 Uhr, brachte man mich erneut zum Verhör, und siehe da, auf dem Tisch sah ich das Buch "Die Republik Armenien" von Simon Wrazian liegen.
Dieses Mal saß hinter dem Tisch ein Tschekist namens Petrosjan, von beißendem Charakter und Ausdruck, und am Tisch ein Tschekist namens Poghosjan.
- Sie haben dieses Buch zusammen mit Wrazian geschrieben, Ihr Name steht darin, - sagte Petrosjan.
- Ich habe kein Buch mit Wrazian geschrieben, ich war Lektor in der Druckerei, ich habe nur lektoriert, - sagte ich.
- Nein, Sie haben es zusammen geschrieben, - beharrte Petrosjan.
- Ich konnte so ein Buch nicht geschrieben haben, weil ich in jenen Jahren nicht in Armenien war, - antwortete ich.
- An der Konferenz der Daschnaks teilgenommen, ein Buch gegen die Sowjets geschrieben, wissen Sie, dass wir Sibirien haben? - sagte er.
- Es ist eine Freude für Sie, junge Leute nach Sibirien zu schicken, - sagte ich streng.
- Bürger, warum beleidigen Sie unseren Chef? - sagte Poghosjan.
- Ich habe nur auf die Drohung Ihres Chefs geantwortet, - sagte ich.
Es war nach Mitternacht, gegen eins, als man mich in meine Zelle zurückbrachte. Dieser Tag war außergewöhnlich im Verlauf meiner Inhaftierung.
In der Nacht träumte ich, dass Genosse S. Wrazian oben auf der Treppe stand; ich sagte von unten:
- Genosse Wrazian, warum hast du dein Buch geschickt?
Ohne eine "Antwort" erhalten zu haben, wachte ich auf. Ich sah Mischa, der in meiner Zelle lag; war er wach, hatte ich meine Frage im Traum laut ausgesprochen, hatte Mischa es gehört...
Am nächsten Tag war ich aufmerksam, um zu sehen, ob Mischa etwas gehört hatte. Ich war überzeugt, dass ich nicht laut gesprochen hatte, Mischa wusste nichts.
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Am nächsten Tag las ich in der Zeitung "Sowjetisches Armenien" über den Tschekisten Schahasisow und Budaschko Folgendes –
"Vierzigtausend Rubel der MOPR (Organisation zur Unterstützung inhaftierter Arbeiter im Ausland) sind beim Kartenspiel verloren gegangen – durch den Tschekisten Schahasisow und Budaschko. Schahasisow hat einen Brief hinterlassen mit der Erklärung 'Ihr werdet mich nicht mehr sehen', Budaschko ist inhaftiert."
Als ich das las, glaubte ich den Worten meines Verhörführers, dass Budaschko ein Gefangener sei; andererseits konnte dieses Monster keine neuen Denunziationen mehr machen, er war inhaftiert.
Eines Tages, als Budaschko vom Hof zurückkam und vor dem Fenster meiner Zelle vorbeiging, spuckte ich und sagte: "Pfui, Provokateur, jetzt wirst du deine Strafe abbüßen...".
Und tatsächlich, später verbannte man ihn nach Sibirien, und bis heute gibt es keine Nachricht über ihn.
Die Vorsehung ordnete seine Sache; wenn ich nicht inhaftiert worden wäre und sein Attentat ausgeführt hätte, wären sowohl ich als auch der Attentäter, und vielleicht andere Unschuldige, geopfert worden. Das Ende des Bösen endete mit Bösem.
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Die Gefangenen gaben sich durch Klopfen an die Wand (sie hatten eine Chiffre) Nachrichten. Ich lag auf meinem Podest und hörte die Schläge der Chiffre, die gut durch die Wand zu hören waren. Eines Tages hörte ich: "Temur Bek haben sie heute Nacht weggebracht...". Temur Bek war einer unserer Genossen, groß, etwa sechzig Jahre alt, der ältere Bruder von Dr. Smbat Jeghiasarjan, Vater von Babgen und Suren Jeghiasarjan. Sie waren in Täbris, später in Teheran.
Es gab einen anderen kräftigen jungen Mann, namens Waranzow, einer unserer Genossen aus der Region Aragaz.
Mukutsch Abaranz, einer der exilierten Studenten, der in die Heimat zurückgekehrt war, war inhaftiert; man sagte, er sei Mitglied des Zentralkomitees gewesen.
Sie alle waren in den ebenerdigen Zellen inhaftiert.
Der Ofen (Kamina) in der Wand der Zelle rechts von meiner Zelle war zerfallen, hatte Risse, von dort sprachen auch ein, zwei Leute mit mir, wenn Mischa nicht in meiner Nähe war. In diese Zelle hatte man einen aus Rumänien gekommenen armenischen Bischof gebracht, von beleibtem Körper, ich sah ihn, als man ihn am ersten Tag zum Spaziergang in den Hof brachte.
Unter den Gefangenen hatte sich bereits die Nachricht über mich verbreitet, dass ein "Daschnakzagan-Führer" aus Europa gekommen und inhaftiert worden sei. Durch einen Riss im Ofen der Nachbarzelle sagte mir eines Tages jemand: "Glaub ihnen nicht, ha!, sie bringen einen zum Weinen...".
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All unsere moralischen Vorstellungen sind in den Augen eines Bolschewiken bürgerlich, Vorurteile. Als eines Tages darüber mit dem Tschekisten Mischa Safrasbekow gesprochen wurde, sagte er absolut: - "Wenn ein Bolschewik zu jemandem 'ehrenhaftes Wort' sagt, kann er genau das Gegenteil tun, bis er nicht sagt: 'kommunistisches Ehrenwort' darf man nicht glauben.... nur 'ehrenhaftes Wort' ist bürgerlich, deshalb unterscheidet der Bolschewik nicht zwischen Mitteln, um die Bourgeoisie zu besiegen."
Lenin hat gesagt: "Um den kapitalistischen Imperialismus zu besiegen, darf man zwischen Mitteln nicht unterscheiden."
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Der schmächtige, mit zur Seite gekämmten Haaren, der Vorsitzende der Tscheka von Armenien, Melik Osipow, kam eines Tages, als wir zum Spaziergang im Hof waren. Als er mich sah, fragte er nach meinem Namen. "Du hast in Paris an der Konferenz der Daschnaks teilgenommen", - sagte er.
- Paris liegt nicht innerhalb der Grenzen der Sowjetunion, - sagte ich.
- So, also ist die Teilnahme an einer Konferenz in Paris nichts... sagte er und ging.
Als meine Mutter sich bei Melik Osipow gemeldet und um meine Freilassung gebeten hatte, hatte Melik-Osipow gefragt:
- Wie viele Söhne hast du?
- Drei, - hatte meine Mutter gesagt.
- Soll einer fehlen, - hatte er gesagt, - hatte Melik Osipow gesagt.
- Weh, was sagen Sie, Sie sind auch Vater von Kindern, wie können Sie Ihre Kinder aufgeben? - hatte meine Mutter gesagt.
Ich muss sagen, dass derselbe Melik Osipow während der stalinistischen Säuberungen (1937) enteignet und als Leiter einer Bäckerei geschickt worden war; später hatte man ihn gefasst und erschossen...
Mughdusi, der Vorgesetzte meines Verhörführers Lewon Margarjan und Leiter jener Abteilung, war ein dünner, flinker Mann mit schwarzen Augen und langen Wimpern. Einmal, während meines Verhörs, trat er ein, maß mich schnell von Kopf bis Fuß mit seinem Blick und ging hinaus; auch er trat nach Melik Osipows Enteignung für kurze Zeit an dessen Stelle, wurde dann verhaftet, die Tscheka hatte in seiner Wohnung einen persischen Pass gefunden... Wahrscheinlich hatte er gedacht, im Gefahrenfall nach Persien zu fliehen.... auch er wurde erschossen.
Seltsam. Ich war ein Gefangener und hielt mich für "sterblich", aber es geschah, dass fast alle meine Verhörführer einen unnatürlichen Tod starben. Zweimal war ich Gefangener des grausamen Lawrenti Berias; auch er entging der Erschießung nicht, das Schicksal der Revolution holte ihn und Stalin ein...
Aber dazu werde ich später zurückkommen.
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Man rief mich zum Verhörführer und teilte mir mit, dass meine Akte nach Tiflis, zur Transkaukasischen Tscheka, überstellt worden sei. Auch ich sollte nach Tiflis geschickt werden.
Sie brachten uns, eine große Gruppe von Gefangenen, unter Bewachung von Rotarmisten zum Bahnhof von Jerewan. Etwa 50-60 Schritte vom Bahnhof entfernt hatten sich Angehörige der Gefangenen versammelt, aber man erlaubte ihnen nicht, näher zu kommen.
Wir stiegen in die Gefängniswagen, deren Fenster eiserne Gitter hatten. In meinem Wagen waren meist junge Trotzkisten, die begannen, Parolen zu brüllen und auch die "Daschnaks" zu beschimpfen. Währenddessen sah ich, wie Waranzow, der unter ihnen saß, aufstand und streng erklärte: "Wenn ich noch einmal so eine Beschimpfung höre, schlage ich euch allen die Nase und den Mund blutig", sagte er und kam, um sich neben mich zu setzen. Im Gefängnis hatte ich Waranzow gesehen, aber wir hatten uns noch nicht kennengelernt. Von diesem Moment an wurden wir uns nahe. Die Trotzkisten wagten nicht mehr, uns zu beschimpfen.
Vom Bahnhof Tiflis brachte man uns vor die Metechi-Festung – das Gefängnis; ich trug den von Wrazian geschenkten Regenmantel; wie es schien, erregte ich Aufmerksamkeit, ein russischer Tschekist mit Stiefeln (Sapogi) trat auf mich zu. "Wie ist dein Name?", fragte er. Ich sagte Namen und Nachname; er warf noch einen Blick auf mich und ging.
Gefangene, die in meiner Nähe standen, sagten: "Es ist der Tschekist Papow, weh uns."
(Später werde ich auf diesen Papow zurückkommen).
Sie brachten uns zunächst in eine Zelle im oberen Stock des ersten Hofs, wo es auch einige ossetische Gefangene gab, die sich hinsetzten und einstimmig ein Lied sangen: "Haralo!, ha!, haralo!".
Es gab einen alten, knöchrigen Mann deutscher Herkunft, der prahlte, er sei unter dem zarischen Regime Gendarm gewesen und habe Stalin sicher von Batum nach Baku gebracht. "Stalin kennt mich", wiederholte er ständig. Zwei Tage später, mitten in der Nacht, fiel dieser Alte auf den Boden, man hörte das Geräusch von Knochen, sie brachten ihn ins Krankenhaus. Unter den Gefangenen ging das Gerücht: "Sie haben ihn vergiftet...".
Ich erfuhr, dass Priester Chatschwankjan sich im Gefängnis des inneren Hofs von Metechi befand. Waranzow war flink, durch ihn schickte ich die Nachricht, er solle zum Tor des äußeren Hofs kommen, wir würden uns treffen. Ich konnte nicht in den inneren Hof gelangen.
Am nächsten Tag stellte ich mich hinter die Gitter des Tores unseres Hofs, Priester Chatschwankjan kam mit seinem sympathischen Aussehen und weißem Bart. Er war ein ehemaliger Gymnasiumsabsolvent, gebildet, ausgeglichen; wir hatten uns bereits in Täbris getroffen.
- Ah, du bist auch hier, - sagte er hinter dem Gitter.
- Ja, Vater, ich kam aus Paris, wollte bleiben, sie haben mich erwischt. Wo ist Onnik? - fragte ich.
- Onnik wurde in die Stadt Woronesch verbannt, vielleicht schicken sie mich auch zu meinem Kind, - sagte er.
Über diese Dinge konnten wir nicht sprechen, weil andere da waren.
- Wenn man mich in den inneren Hof verlegt, werden wir sprechen, Vater, - sagte ich und wir trennten uns.
Unsere Jungs sagten mir, dass der Friseur unseres Gefängnishofs den Kopf von Sargis Kukunjans erster Expedition (1890) rasiert habe; ein alter Mann.
Ich ging in den Hof und zum Laden des Friseurs, um mir die Haare schneiden und rasieren zu lassen.
Er war ein alter Mann von 60-62 Jahren, von guter Statur, mit sympathischem Gesicht, weißem Haar.
Als ich an der Reihe war, fragte ich:
- Meister, wie lange bist du schon hier?
- Fast 38 Jahre. Ich habe viele rasiert. Jetzt gibt es auch in diesem Gefängnis zweitausend Gefangene. Es war noch nie so voll. Ich habe auch die Gruppe Kukunjans rasiert, - sagte er mit sanfter Stimme.
- Ich wünsche dir ein langes Leben, lieber Armenier, - sagte ich und verließ den Laden.
Ich war glücklich.
(Fünf Jahre später, 1933, schrieb ich in Täbris die "Erinnerungen an die Kukunjan-Expedition" von Howsep Howsisean nieder, die in den Jahren 1933-1934 in der Bostoner Monatszeitschrift "Hayrenik" erschienen und großes Interesse weckten. Dann druckten sie sie als Serie nach: die Tageszeitung "Hayrenik", die Wochenzeitung "Azdak" (Beirut, 1948), die Tageszeitung "Alik" 1973, dann erschien sie als separates Buch:
Unter dem Titel "Die Odyssee des Revolutionärs Ephrem", in Teheran, übersetzt von Hr. Chalatanian ins Persische unter der Schirmherrschaft von Ghukas Karapetjan, dann hatte die persische Version einen zweiten Druck. Auf diese Weise wurde die Geschichte der Kukunjan-Expedition vor dem Verlust gerettet).
Es gab einen inhaftierten Priester, kaum gebildet, arm und elend; er bat mich, einen offenen Brief an seine Familie für ihn zu schreiben. "Hat die rote Kuh gekalbt, wie geht es den Schafen?", solche Fragen. Wie sollte dieser sprachlose, arme und elende Priester in Sibirien überleben? Das menschliche Wesen hatte keinen Wert in den Augen des sowjetischen Regimes... Aber sollte der Kommunismus nicht für die Menschen gegründet werden?
Es gab einen frechen Schurken, der den Priester schikanierte und unanständige Worte sagte; einmal ging ich auf ihn zu, um ihn zu verprügeln. Er floh und ließ den Priester danach in Ruhe.
Vom Hof des äußeren Gefängnisses führte ein schmaler Durchgang, wo sich Werkstätten in erbärmlichem Zustand befanden, zum inneren Gefängnis, das im felsigen oberen Teil des Flusses Kura lag. Das Ufer der Kura ist eine hohe, wie eine Wand abgeschnittene Felswand; kein Gefangener würde entkommen, wenn er sich von der Klippe hinabstürzte; der Fluss rauscht dahin, prallt gegen die Felsen und ist tief. Auf diesem großen Felsplateau steht das Kloster der Heiligen Schuschanik, der Tochter Vartan Mamikonjans, das nun in einen Klub umgewandelt worden war... es hingen Papiergirlanden.
Als wir vom Hof zu den Zellen im zweiten Stock hinaufsteigen sollten, sagten die Jungen, dass die georgischen sozialdemokratischen Gefangenen es nicht erlauben würden... Ich überprüfte es – es stimmte.
Ich kehrte zu den Kameraden zurück und sagte, wir müssten in einer Reihe hineinstürmen. Waranzow und Artisch aus Achalkalaki, die kräftig gebaut waren, gingen voran und wir drangen gewaltsam ein; in der Zelle gab es freie Betten, als ich alle untergebracht hatte, blieb für mich kein Platz; ich sagte, ich würde auf dem Boden schlafen; die Jungen widersprachen, ich sagte, ich würde nicht nachgeben; schließlich beschlossen sie, dass wir abwechselnd jede Nacht einer auf dem Boden schlafen sollte, bis ein Platz frei würde. Die erste Nacht schlief ich auf dem Boden.
Am nächsten Tag hatten wir auf dem Hof eine Auseinandersetzung mit den Georgiern; ich sagte zu ihnen auf Russisch: „Ihr habt internationale Solidarität in eurem Programm, aber ihr duldet uns nicht; das ist ein Widerspruch.“ Ein Tschekist kam und trieb uns auseinander. Einer der Georgier kam auf mich zu und sprach freundlich mit mir. Später bat mich dieser Herr, ihm Französischunterricht zu geben....
Ich sagte ihm, dass ich nichts auf Papier schreiben würde. „Wie denn?“, fragte er. „Ich werde auf Erde oder Sand schreiben“, sagte ich. Er wollte meine Handschrift haben, auf deren Grundlage die Tscheka alles Mögliche erfinden konnte...
Wir erfuhren, dass die Tscheka von Georgien die georgischen sozialdemokratischen Gefangenen in Metech festhielt, sie nicht nach Sibirien schickte und ihnen Besuche ihrer Familien erlaubte; der georgische Nationalismus sprach aus den georgischen Bolschewiki.
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Ich zog mich mit Pater Chatschwankjan auf dem Hof beiseite und sagte ihm Folgendes: „Vater, dein Sohn Onnik war mein enger Klassenkamerad im 'Georgianischen Seminar'. Dir allein kann ich mein Geheimnis anvertrauen, nimm mich anstelle deines Sohnes an.“
- Ja, mein Sohn, sei versichert, - sagte er.
- Vater, man wird dich wohl nach Woronesch, zu Onnik, verbannen. Ich bitte dich, lass von dort aus auf irgendeine Weise Vater Arsen Simonjan in Moskau wissen, dass ich inhaftiert bin. Mehr nicht, - sagte ich.
- Sei versichert, mein Sohn, dass ich alles Mögliche tun werde, - sagte Pater Chatschwankjan. Später erzählte ich ihm als Information über das Ausland. Er war ebenfalls als Mitglied der Daschnakzutjun inhaftiert.
Später teilte man dem Vater von der Tscheka mit, dass er nach Woronesch verbannt werden solle. Wir standen in der Nähe des Gebäudes des inneren Gefängnisses von Metech, als aus dem zweiten Stock ein großes Stück Stein genau zwischen uns beiden herabfiel.... Es waren die Georgier; wenn der Stein einem von uns auf den Kopf gefallen wäre, wären wir auf der Stelle tot geblieben;
- Leidenschaftliche, elende Menschen sind das, - sagte der Vater. Beim Abschied sagte ich: „Vater, du wirst mich also nicht vergessen?“ - Ich erinnerte ihn auf diese Weise an meine Bitte, die mit Moskauer Vater Arsen zusammenhing. „Sei versichert“, - sagte er und ging.
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Im Gefängnis von Metech befand sich Makenz aus Sangesur, der ein unangenehmer Typ war; unsere Jungen sagten mir, er sei ein Agent der Tscheka. Er war bei Nschdeh in Sangesur gewesen, aber zur Zeit der Sowjetisierung war er zum Spitzel geworden. Dieser Makenz erzählte mir in Metech Folgendes:
- Mischa Safrasbekow, der mit dir im Gefängnis der Tscheka in Jerewan saß, ein Sangesurzi, wurde zu Nschdehs Zeiten als Bolschewik inhaftiert; er hatte einen Freund namens Georg. Mischa denunzierte Georg. Um Georg ein Geständnis zu entlocken, täuschten wir in einem Nachbarraum vor, Mischa zu verprügeln, er stieß Schreie aus; Georg wurde wegen Mischa erschossen. Nach der Sowjetisierung Armeniens trat Mischa als verfolgter Bolschewik auf und stieg auf bis zum Leiter der Abteilung für außergewöhnliche Maßnahmen der Tscheka in Jerewan... schließlich brachten Leute, die Mischa kannten, die Tscheka dazu, Mischas Vergangenheit zu verstehen* (* Diejenigen, die Mischa denunzierten, waren er selbst, Makenz, und Mughdusi, deshalb wollte Mischa Mughdusis Namen nicht hören. Den Namen Makenz nannte er nicht. - A. A.), und Mischa wurde inhaftiert.
Später erfuhr ich, dass Mischa zu zehn Jahren Verbannung auf die Insel Salawki im Norden Russlands verurteilt worden war – es war der schrecklichste Ort für Strafarbeit; viele Sozialdemokraten und Sozialrevolutionäre waren ebenfalls nach Salawki verbannt worden und dort umgekommen... (zwei Jahre später sagte mir meine Mutter, dass Mischas Frau ihr gesagt habe: - „Mischa hatte in einem Brief aus der Verbannung geschrieben, dass Andrè ihm Essenspakete geschickt habe, und dankte dir.“ Es stimmte nicht, ich war im Gefängnis, wie und warum hätte ich Mischa etwas schicken sollen?).
Ich traf Artashes Stepanjan aus Sasun, einen sympathischen jungen und hingebungsvollen Daschnak, der 1926 im Prozess um den Terror von „Manuk Chuschojan“ vor Gericht gestellt und zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden war, zusammen mit Genosse Sahak Stepanosjan, im Ural-Gefängnis. Bevor die drei Jahre um waren, hatte die Tscheka ihn aus dem Gefängnis entlassen, sogar mit dem Recht, nach Alagjäs zurückzukehren.
- Als ich nach Aragaz zurückkehrte, - sagte Artashes, - wurden unsere Leute aus Sasun misstrauisch: Warum hat man dich vorzeitig freigelassen, warum haben sie die anderen behalten? - Es entstand eine schwierige Situation für mich; ich wusste nicht, was ich tun sollte, bis die Tscheka mich erneut verhaftete und inhaftierte. Deshalb bin ich hier.
Dann teilte mir Artashes eine sehr wichtige Nachricht mit:
- Falls du jemals Mukutsch Abarantz* (* Diesem Mukutsch begegnete ich später im Gefängnis von Jaroslawl. Darüber werde ich der Reihe nach schreiben. Es gelang ihm nicht, etwas von mir zu erfahren. - A. A.) triffst, sei vorsichtig, er ist verdächtig.
Als Artashes mitgeteilt wurde, er solle seine Sachen packen, verabschiedete ich mich und schenkte ihm meine Decke (im April 1929).
(1930, als ich in den Iran verbannt wurde, gingen Artashes, die Fedajin Tscholo und Muruk Karo illegal über den Arax und kamen nach Täbris. Darüber werde ich der Reihe nach schreiben).
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Mit mir waren als Gefangene aus Jerewan einige junge Armenier, zwanzig bis fünfundzwanzig Jahre alt, nach Metech gebracht worden. Diese jungen Männer kamen im Hof von Metech auf mich zu und baten mich um Folgendes:
- Wir hatten in Armenien eine geheime Vereinigung namens „Haikasen-Union“ mit nationalen Forderungen gegründet. Die Tscheka hat uns inhaftiert und beschuldigt, Daschnaken zu sein, aber wir sind mit dem Programm der Daschnakzutjun nicht vertraut; wir bitten Sie, es uns zu erklären.
Als ich unser Programm erklärte, riefen sie aus:
- Also war die Anschuldigung richtig, wir sind Daschnaken...
- Seid ihr alle dieser Anschuldigung ausgesetzt? - fragte ich.
- Nur die Augen dieses hier sind schuld, - sagten sie und zeigten auf einen etwa zwanzigjährigen jungen Mann mit schönen Augen.
- Wie das? - fragte ich.
- Ein hübsches Mädchen, eine Tschekistin, hatte sich in seine Augen verliebt; um das Mädchen für sich zu gewinnen, ließ sie diesen Jungen als Daschnak inhaftieren, - antworteten sie. Solche Fälle kommen vor.
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Eine Ausgabe der in Paris erscheinenden bolschewistischen Zeitung „Jerewan“ tauchte im Gefängnis von Metech auf: jemand las laut eine Rede von Schahan Natali gegen die Daschnakzutjun. Ich informierte unsere Jungen, dass Schahan wegen finanzieller Verschwendung und eigenmächtigen Handelns aus der Daschnakzutjun ausgeschlossen worden war.
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Wenn ein Gefangener im Gefängnis von Metech bis ein Uhr nachmittags gerufen wurde, bedeutete das, dass er in die Verbannung geschickt werden sollte, aber wenn er nach Mittag gerufen wurde, hieß das, dass er entweder in das Gefängnis der Tscheka gebracht oder erschossen werden sollte.
Ich wurde nach Mittag gerufen. Wir waren eine Gruppe Gefangener, von Wachen umgeben, und man ließ uns zu Fuß zum Gefängnis der Tscheka gehen. Wir überquerten eine Brücke, durchquerten einen Teil von Awlabar, den Markt von Tiflis und kamen auf den Jerewaner Platz. Ich ging in der ersten Reihe der Gruppe. Vieles erinnerte mich an meine in Tiflis verbrachten Tage. Nichts hatte sich verändert, es hatte in den zehn Jahren (1919-1929) keinen Bau gegeben.
Wir gingen auch an unserer Straße (Schukowskaja) entlang, in der Nähe der Weliaminow-Straße, und hielten vor dem Gebäude der Tscheka. Artisch aus Achalkalaki war bei mir; in der Vorhalle der Tscheka wurden wir auf die Zellen aufgeteilt, wir trennten uns.
Das sogenannte Tscheka-Gefängnis war eine Reihe dunkler, enger Zellen, die sich zu engen, krummen Korridoren im Untergeschoss öffneten. Man brachte mich in eine Zelle ohne Fenster; ich blieb am Eingang stehen, zunächst sah ich nichts, ein älterer Georgier kam auf mich zu;
er sagte: –
- Bei uns ist es eng, aber wir werden einen Platz für Sie finden, - man wies mir einen Platz an der Wand zu, an einer schmalen Stelle. Es waren vier Personen, wir wurden zu fünft.
Dieser ältere Georgier, Waraschwili, war ein guter Mensch, nicht wie die Georgier in Metech. Es gab noch einen anderen jungen Georgier, der auch gutgesinnt war; er war Soldat gewesen und nun inhaftiert. Es gab einen jungen Armenier namens Sarkis, einer der ehemaligen Waisenkinder. In einer Ecke lag ein korpulenter Türke, neben ihm, auf dem Holzboden, ein großes Loch, aus dem manchmal Ratten ihre Köpfe herausstreckten, von denen Tiflis reichlich hatte. Die Katzen können diese Ratten nicht fangen, so wild sind sie, mit scharfen Zähnen; ich habe in Tiflis gesehen, wie ein Hund sich vorsichtig näherte, der Ratte in den Rücken biss und sie lähmte. Die beiden Georgier in unserer Zelle hatten eine Methode ersonnen, die Ratten zu fangen. Sie legten eine Schlinge aus starkem Garn um das Loch, hielten das Ende des Fadens in der Hand, und wenn die Ratte ihren Kopf aus dem Loch streckte, zogen sie sofort am Fadenende, die Schlinge zog sich um den Hals der Ratte zu, dann hoben sie den Faden – die Ratte in der Schlinge – und warfen sie in einen Eimer mit Wasser; die Ratte ertrank. Dieser Eimer war der Urinaleimer der Gefangenen und der Eimer für die Notdurft, denn nur einmal am Tag wurden wir herausgelassen, um uns zu waschen und für die Notdurft, morgens um 5 Uhr.
Die Georgier verachteten den türkischen Gefangenen; er schlief meistens; manchmal warfen wir ihm ein Stück Zucker zu. Einmal sagte der Türke: - „Ach, wenn ich frei wäre, täglich mein Mittagessen hätte und ein Kilo Zucker....“. Die Georgier verspotteten ihn: „Do, jimar, ein Kilo Zucker ist Essen für einen Monat.“ Der Türke hatte sich geirrt, er hätte sagen sollen: ein Stück Zucker.
In unsere Zelle brachte man einen jungen Georgier, von dem sofort klar war, dass er ein Spitzel war. Die beiden Georgier verhielten sich kühl ihm gegenüber und sprachen fast nicht mit ihm.
Der Spitzel begann einmal über den georgischen Aufstand (von 1924) zu sprechen. Er war Zeuge gewesen, wie die Tschekisten die aufständischen Georgier in Lastwagen packten, um sie zur Erschießung zu bringen; die Ehefrauen der Gefangenen schrien und weinten angesichts der Wegführung ihrer Angehörigen in den Tod.
- Die Tscheka hat viertausend Aufständische erschossen, - prahlte der Spitzel....
Waraschwili erzählte mir später, wie viele Unschuldige sie erschossen hatten. Dschugeli war der Anführer der Aufständischen, er wurde erschossen. In einer Zelle waren Geistliche inhaftiert, mit ihnen ein junger Messdiener; als sie kamen, um die Geistlichen abzuholen, sollten sie den Jungen nicht mitnehmen, aber dieser bat, ihn nicht allein zu lassen, ohne zu wissen, worum es ging; die Tschekisten ließen den Jungen nicht allein, nahmen ihn mit den anderen und erschossen ihn....
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Unter der goldenen Brille meiner Brille (Pensné) hatte ich den kleinen Ring versteckt, den mir meine Schwester Siranusch geschenkt hatte, mit einem blauen Stein, den ich jahrelang an meinem kleinen Finger getragen hatte; ich hatte ihn unter der Brille versteckt, damit sie bei Durchsuchungen nicht bemerkt würden, und in das Brillenetui gelegt. Der georgische Spitzel sah mein Brillenetui, nahm es, um es anzusehen, dann schloss er das Etui und gab es mir. Kurz darauf, als ich das Etui öffnete, sah ich, dass der Ring fehlte... Ich sagte: Ich hatte einen Ring in diesem Etui, er ist weg... Waraschwili und der andere Georgier baten mich, sie zu durchsuchen, ich lehnte ab; sie schüttelten einer nach dem anderen ihre Sachen aus und stülpten ihre Kleidetaschen nach außen; ich verdächtigte sie nicht; der Spitzel wühlte auch mit der Hand in seinen Taschen, als ob nichts wäre.
Später sagte Waraschwili zu mir: - „Der Dieb ist der Spitzel. Er ist ein Schurke, siehst du, wir reden nicht mit ihm.“
Am selben Abend wurde der Spitzel gerufen. Der Dieb hatte den Ring mitgenommen. Tiflis war auch für seine Taschendiebe berüchtigt.
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Ich wurde gerufen; wir stiegen durch krumme, enge Korridore hinauf in einen Raum im zweiten Stock des Gebäudes der Transkaukasischen Tscheka, wo hinter einem Tisch der Tschekist Kolja Georgow saß, ein armenischer Untersuchungsführer, unterstellt dem Leiter der Tscheka, Walenti Chawrentch Beria.
- Setzen Sie sich, - sagte der Tschekist, - Sie werden beschuldigt, der Daschnakzutjun anzugehören. Die Tscheka von Armenien hatte Ihre Akte der Transkaukasischen Tscheka übergeben, nun übergeben wir Ihre Akte der WeTscheKa (der Allgemeinen Tscheka der Sowjetunion). Heute Abend werden Sie nach Moskau geschickt.
Kolja Georgow war ein Mann von mittlerer Statur, nicht dick, mit blassem Gesicht und kurz geschorenen Haaren. Im Gefängnis von Metech hatte ich über ihn gehört, dass er ein grausamer Mann sei. Artisch aus Achalkalaki hatte mir erzählt: - „Was für Rettigen esst ihr denn, ihr Daschnaken?“, hatte er zu Artisch gesagt.
Georgow befahl mir, in den Nebenraum zu gehen, als ich hinüberging, war dort ein etwa fünfzigjähriger georgischer Aufseher. „Man hat Ihnen erlaubt, Ihre Mutter zu treffen“, sagte der Georgier auf Russisch.
Kurz darauf trat meine Mutter, sichtlich bewegt, ein, wir umarmten uns. „Was ist passiert, du bist aufgeregt?“, fragte ich.
- Unten, als ich mich Kolja Georgow näherte, um eine Besuchserlaubnis zu erbitten, packte er mich am Arm, stieß mich grob beiseite, was habe ich ihm getan? - sagte meine Mutter.
Ich wurde wütend, wandte mich an den Georgier und sagte: „Kolja Georgow hat sich grob gegenüber meiner Mutter benommen, und dabei hält er sich selbst für einen Verfechter der Gleichberechtigung der Frauen, der Erbärmliche.“ Der Georgier sagte nichts.
Man brachte mich in die Tscheka-Zelle des Bahnhofs von Tiflis, deren Fenster Eisenstäbe hatte.
Ein armenischer Tschekist, der mir wohlgesinnt war, in Militäruniform, kam, holte mich heraus und brachte mich in einen Waggon, unter der Bewachung von zwei russischen Rotarmisten. Da der Zug sich noch nicht in Bewegung gesetzt hatte, fragte ich den Tschekisten:
- Kann ich am Fenster stehen? - Es wurde erlaubt. Plötzlich sah ich meine Mutter auf unseren Waggon zukommen, ihr Gesicht von schwerem Leid gezeichnet.
- Kann ich mit meiner Mutter sprechen, in Ihrer Gegenwart? - fragte ich den Tschekisten. Es wurde erlaubt.
Ich sprach beruhigende Worte zu meiner Mutter; wenig später setzte sich der Zug in Bewegung... Ich erinnerte mich an ein Gedicht des bolschewistischen Dichters Wahan Terjan:
„Ich gehe in eine fremde Welt,
In ein fernes Land – ich werde nie zurückkehren.
Gedenket meiner in euren Gedanken,
Lebt wohl, lebt wohl...“
Ich saß im Gefängnisabteil, mir gegenüber der armenische Tschekist, zu beiden Seiten des Eingangs standen zwei russische Soldaten:
- Darf ich Ihren Namen erfahren? - fragte ich den Tschekisten.
- Mischa Mikajelian, - sagte er.
- Woher sind Sie? - fragte ich erneut.
- Aus Agulis, - sagte er.
Ich erstarrte und dachte: Ist er vielleicht ein Verwandter von Kristapor Mikajelian, der nun als Bolschewik-Tschekist über einen Angehörigen von Kristapors Partei, der Daschnakzutjun, wacht... Was für eine Tragödie.
An einem Bahnhof im Nordkaukasus, als der Zug hielt, saß ich am Fenster und sah einen unserer ehemaligen Seminaristen, der eine Klasse über uns war. Sein Name war Kakawian. Das Seltsame war, dass er die abgetragene Kleidung eines Seminaristen trug... Was erlebt dieses Land, dass dieser Junge seit elf Jahren dieselbe Kleidung, denselben Gürtel trägt..., dachte ich.
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Unterwegs behandelte mich der Tschekist Mischa Mikajelian gut, keine Grobheit, kein unangenehmer Vorfall. Sogar als ich am Fenster stand, kam eine schöne Russin aus dem Nachbarabteil zu mir. Sie fragte, welcher Nationalität ich sei. Ich sagte: „Ich bin Armenier.“ Sie sagte: „Oh, die Armenier haben ein schönes Lied namens 'Zitzer nak' (die Russen können unser 'Z' nicht aussprechen). Singen Sie dieses Lied?..." Ich sah, dass die Frau nicht begriff, dass ich ein Gefangener war, ich sagte „nein“ und bat um Entschuldigung und ging in mein Abteil.
War es Zufall oder einplaniert? Ich weiß es nicht, aber Mischa Mikajelian machte keine Bemerkung.
In Moskau brachte man mich in das Butyrka-Gefängnis, das zeitweise vierzigtausend Gefangene beherbergte. Gebäude mit Zellen, ein kleiner Hof, wo die Gefangenen zum Spaziergang herausgeführt wurden. Die backsteinerne Hofmauer stammte aus der Zarenzeit, darauf hatten die Bolschewiki einen hölzernen Aufbau errichtet, so dass man nicht hinübersehen konnte.
Ich war in Zelle Nr. 11. In der Tür war ein kleines Fensterchen mit einem Deckel von außen. Der Aufseher im Korridor zog manchmal den Deckel zurück und schaute in die Zelle, ob nicht vielleicht ein Gefangener flieht... Aber wohin und wie sollte man fliehen, es war unmöglich.
Die Trotzkisten bilden eine große Gruppe als Gefangene und korrespondierten miteinander über Tauben, die ihr Nest auf den Gefängnisdächern hatten, indem sie ihnen Briefe an die Füße banden.
Ich hatte in der Zeitung gelesen, dass es im Mai Wahlen in England geben sollte und die Möglichkeit bestand, dass die Labour Party zum ersten Mal siegen und ihr Führer MacDonald Premierminister werden würde. Aber in Butyrka gab man mir keine Zeitung. Es gab eine interessante Überraschung, die Nachbarzelle bekam eine Zeitung. An diesem Tag warf der Wärter die Zeitung versehentlich in meine Zelle, statt in jene. Sofort griff ich sie und las die Schlagzeile, dass Labour gewonnen hatte.... In diesem Moment öffnete sich die Tür und der Wärter verlangte die Zeitung von mir, ich gab sie ihm. Ich hatte mein Ziel erreicht.
Ohne Literatur waren die Tage langweilig; keine Zeitung, kein Buch. Die Zelle war auch so klein zum Gehen, dass meine Füße Spuren im Zementboden hinterlassen hatten, so viel war ich gelaufen.
Ich schrieb ein Gesuch an die Gefängnisverwaltung und bat, mir Bücher aus der Gefängnisbibliothek von Butyrka zum Lesen zu geben.
Es wurde erlaubt, aber man gab mir keinen Katalog in die Hand, sie sagten, ich solle aufschreiben, welches Buch ich wolle, und sie würden es bringen.
Ich wusste, dass die russische Übersetzungsliteratur am reichhaltigsten war, sowohl unter dem Zaren als auch, besonders, unter dem Bolschewismus; sogar Bücher zweit- und drittrangigen Wertes aus dem Ausland wurden übersetzt.
Unter dem Bolschewismus beschäftigten sich die Intellektuellen, denen man keine Arbeit gab, mit Übersetzungen, zum Beispiel, wie ich hörte, unser Oberaufseher im Seminar, Howsep Grigorian, übersetzte Karl Marx' „Das Kapital“, Tadeos Awdalbegian, Sahak Torosian und andere ebenfalls.
Zuerst schrieb ich die Namen französischer Autoren: Baudelaire, Alfred de Musset, Paul Verlaine, und zu meiner Überraschung bekam ich sie nach und nach.
Ich begann den ganzen Tag zu lesen, meine Zeit verging nützlich, einige Gedichte kannte ich auswendig, in Butyrka übersetzte ich Baudelaires Gedicht „Der Tod“: –
„O Tod, alter Kapitän, es ist Zeit, lichtet den Anker!
Diese Erde ist langweilig, o Tod, lass uns ausfahren!
Wenn auch Himmel und Meer schwarz sind wie Pech,
Du kennst unsere Herzen, erfüllt von Strahlen.
Gieß uns dein Gift, dass es uns stärke!
Dieses Feuer, o Tod, brennt unser Hirn so sehr.
Ob Himmel oder Hölle, was kümmert's?
Zu dem Unbekannten wollen wir Neues finden!“
So dauerte meine Lektüre anderthalb Monate. Ich bestellte fünf Bücher pro Woche, rein literarisch-künstlerischer Richtung, mied Politisches, um keinen Anlass zu unnötigem Verdacht zu geben. Aber welches Buch ich auch aufschrieb – sie brachten es, also musste die Butyrka-Bibliothek sehr reichhaltig sein.
Ich bestellte René Bazins „Les pas sur la neige“ („Die Spuren im Schnee“), als sie aufhörten, Bücher zu geben... Es war klar, die Tscheka wollte nicht, dass ich mich mit Literatur beschäftigte, sondern ich sollte in für Gefangene typische Grübeleien versinken. Sie riefen mich auch nicht zur Vernehmung in meiner Sache vor.
Es blieb ein Mittel: der Hungerstreik. Und ich beschloss, einen „trockenen Hungerstreik“ anzukündigen, das heißt, sogar ohne Wasser zu trinken, was das Schwierigste war, der stärkste Organismus hält nur zehn Tage durch. Mit Wassertrinken hält man den Hungerstreik bis zu dreißig Tage durch.
Ich schrieb es auf und teilte es auch dem Wärter mit, dass ich im Hungerstreik sei, er solle mir kein Essen und keinen Tee bringen. Ich zeigte ihm meine Zelle, damit er sich überzeuge, dass ich weder Essen noch Wasser hatte.
Der schwierige Teil des Hungerstreiks sind der dritte und vierte Tag, wenn man Hunger spürt. Ab dem fünften Tag spürt man keinen Hunger mehr, nur man beginnt schnell abzumagern; aber der Durst quält einen. Ich magerte so schnell ab, dass der Gürtel meiner Hose zu weit geworden war und ich beim Gehen den Gürtel festhielt, damit meine Hose nicht herunterrutschte.
Ich begann Halluzinationen zu haben. Ich lag, vor meinen Augen verschwand die Gefängnismauer, in der Tiefe sah ich einen Wasserfall, herabstürzende Wassermassen, daneben, auf dem Land, lag ein Brot, darauf ein Stück Käse... Verwirrt setzte ich mich auf meiner Pritsche auf, die Szene verschwand... dieselbe Zelle, mit ihrer Wand, war an ihrem Platz.
Später eine andere Szene, jemand mit einem durchsichtigen Finger winkte mit der Hand, zeigte auf Wasser und Brot.... wieder setzte ich mich hin und die Erscheinung verschwand.
Diese Visionen ließen mich über die Erscheinungen von asketischen Geistlichen in Wüsten oder Höhlen nachdenken; auch sie hatten sicherlich aufgrund von Nahrungsmangel Halluzinationen und sahen heilige Geister. Diese Probleme sollten zum Studiengegenstand von Fachärzten und Psychologen werden. Das Problem hat sicherlich mit Körper und Gehirn zu tun.
Am neunten Tag meines Hungerstreiks, als ich aus dem Bett stieg, hatte ich starken Schwindel. Ich fiel auf den Boden. Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen war, als der Wärter und eine Barmherzige Schwester eintraten. „Sie haben einen trockenen Hungerstreik angekündigt“, sagte sie und hielt mir Medizin an die Nase. Dann sagte sie, ich solle ins Gefängniskrankenhaus verlegt werden, sie hatten eine Trage gebracht, ich lehnte ab, ich würde gehen, sagte ich und begann, mich an den Wänden festhaltend zu gehen. Als wir auf den Hof hinauskamen, war die Luft frisch, vor mir ging ein russischer Gefangener, der unaufhörlich Blut spuckte... Der arme Mann hatte weit fortgeschrittene Tuberkulose.
Als ich in einen Saal für Kranke trat; ich blieb an der Tür stehen, in diesem Moment kam auf mich von der Tiefe des Saales eine Person mit armenischem Gesicht, mit Schnurrbart und Bart zu. „Sie sind Armenier“, sagte er, „bei mir ist ein freies Bett, kommen Sie“, sagte er und führte mich. „Ich bin ein Karabacher“, sagte er, „mein Name ist Tigran Bek Hasan Dschalaljan, ich liege auch als Kranker hier. Sie sind sehr abgemagert, haben Sie etwa einen Hungerstreik gemacht?“, sagte er. Ich bestätigte seine Worte.
Tigran Bek wies mir einen Platz nahe seinem Bett zu und begann Ratschläge zu geben. „Wer hungerstreikt, muss, wenn er beginnt zu essen, so viele Tage, wie er hungerstreikte, nur flüssige Nahrung zu sich nehmen, dann ebenso viele Tage Gemüse, und erst in der dritten Phase Fleisch. Wenn er in der ersten Phase Fleisch oder Hartes isst, platzen die Därme, weil ihre Wände durch den Hungerstreik dünn werden.“ Also sollte ich so vorgehen. Ich spürte ohnehin keinen Hunger mehr, ich konnte Disziplin halten.
Tigran Bek erzählte, dass er aus Karabach sei, in seinem Dorf Einfluss habe, deshalb habe die Tscheka ihn nicht geduldet und inhaftiert. „Die Bauern schwören bei meinem Namen“, sagte er. Und in der Tat, Tigran Bek war ein guter Mensch, selbst die Tataren in unserem Saal behandelten ihn mit Respekt.
- Unser Arzt ist ein älterer Russe, mit mir befreundet und sehr beeindruckt von meinem Nachnamen Hasan Dschalaljan. Obwohl ich gesundet bin, huste ich noch, zeige es ihm, verlängere so meinen Aufenthalt hier, denn wer weiß, vielleicht schicken sie mich auch nach Salawki....
Und tatsächlich, als der ältere russische Arzt kam, fragte er Tigran Bek erneut nach seinem Nachnamen und wiederholte selbst: Gassan Dschalalow... (die Russen haben den Laut „h“ nicht).
Ein Gefangener bekommt nach langer Zeit ohne Fleisch Skorbut und beginnt Zähne zu verlieren. Es gab eine Gruppe Gefangener vom Stamm der „Kalmücken“, mit spärlichem Bart, der unter dem Kinn wuchs. Wenn sie sprachen, meckerte es wie bei Ziegen. Sie tranken eine Art grünen Tee, der ungenießbar war. Alle litten an Skorbut.
Einem tatarischen Gefangenen wurde gesagt, er solle seine Sachen packen. Tigran Bek schrieb sofort einen Brief auf ein Stück Papier, der Tatare steckte ihn in seine Socke, um ihn ins Dorf zu bringen.
Tigran Bek erzählte mir von den Launen und Gewalttaten der Bolschewiki. „Sie ruinierten meine ganze Wirtschaft“, fasste er zusammen.
Meine Sorge war eine andere. Ich dachte: Ist es Pater Chatschwankjan gelungen, Vater Arsen in Moskau Nachricht zu überbringen, dass ich inhaftiert bin? Wie werden sich die Genossen verhalten? Was mich betraf, ich würde sterben, aber kein Geheimnis preisgeben, die Genossen sollten sicher sein.
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Man rief mich vor. Es war ein junger Untersuchungsführer, trug eine schwarze Bluse. Ich sagte: Ich habe einen Hungerstreik angekündigt und warte auf ein Ergebnis. Er sagte:
- Vergeblich.
- Es ist über ein Jahr, dass ich im Gefängnis sitze und mein Status ist immer noch ungewiss. Sie haben auch die Lesebücher eingestellt, deshalb protestiere ich, sagte ich. Erneut:
- Vergeblich, - sagte er, - nun werden Sie in das Isolator-Gefängnis nach Jaroslawl geschickt, - sagte er und stand auf.
Als man mich aus dem Krankenhaus holen sollte, war Tigran Bek sehr gerührt. „Mach dir keine Sorgen“, sagte er, „du bist persischer Staatsangehöriger – am Ende werden sie dich freilassen, unsere Sache ist schwierig. Leb wohl, tausendfach leb wohl, mein Bruder“, sagte er mit tränenfeuchten Augen.
Ich verabschiedete mich und wünschte ihm ebenfalls Erfolg.
Die Stadt Jaroslawl liegt nordöstlich von Moskau, etwa zweihundertfünfzig Kilometer entfernt. Es ist eine alte, historische russische Stadt. Am Bahnhof stellte man uns, eine Gruppe Gefangener, in einer Reihe auf und trieb uns zu Fuß, einige ältere Männer setzte man auf einen Karren. Beim Besteigen des Karrens rief ein alter kaukasischer Türke, den sie Maschti nannten: „Ay bir dana kebab olsaydı, yerdih...“ alle lachten, „Ay Maschti, hier wo, wo ist das Kebab?“, sagten sie.
Wir erreichten den Hof des Kriminalgefängnisses von Jaroslawl. Als man die Kriminellen abtrennte, brachte man uns, die Politischen, in die politische Abteilung, die sich dahinter befand.
Es war ein zweistöckiges altes Gebäude, ein ehemaliges Kloster, mit kleinen, schmalen Zellen, trocken, mit steinernen Wänden und Boden. Man brachte mich in Zelle Nr. 11 im zweiten Stock (die Stockwerke waren sehr niedrig), deren Bett von der Wand hing. Tagsüber nahm man die Bettbeine ab, damit die Gefangenen sich nicht zum Ausruhen hinlegten... Nachts brachte man die Beine an. Das Fenster war vergittert, doppelflügelig (in kalten Gegenden sind Fenster doppelflügelig, der äußere Flügel friert im Winter stark zu).
Gegenüber am Hof war die Wachbude, wir standen immer unter Beobachtung. Auch von meinem Fenster aus musste ich vorsichtig die im Hof umhergehenden Gefangenen beobachten, die einmal am Tag zum „Progulka“ (Spaziergang) herausgelassen wurden.
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Am nächsten Tag meiner Haft bemerkte ich unter den im Hof Gehenden zwei bekannte Gesichter. Das eine... war Mukutsch Abarantz, den ich aus Täbris kannte und vor dem mich mein Kamerad Artashes Stepanjan aus Sasun im Gefängnis von Metech gewarnt hatte, er sei verdächtig, und der andere war der Georgier Karziwadse aus dem Prager Studentenkreis, von dem ich schon in Paris gehört hatte, dass er heimlich über die Türkei in die Sowjetunion eingereist, aber verhaftet worden sei. Karziwadse gehörte der georgischen sozialdemokratischen Partei an. Er hatte mich wohl auch im Hof umhergehen sehen, aber wir trafen uns nicht und sprachen nicht übereinander.
In jenen Tagen, als man mich zum Spaziergang in den Hof brachte, bemerkte ich, dass auch Mukutsch unter den Gehenden war. Plötzlich sah ich, wie er mit einem aserbaidschanisch-türkischen Gefangenen auf mich zukam:
- Andrè, bist du auch hier? - sagte er, vor mir stehenbleibend.
Ich sagte: Wer sind Sie, ich kenne Sie nicht.
- Was, erinnerst du dich nicht, ich bin Mukutsch, aus Abaran.
- Ich erinnere mich nicht, - sagte ich trocken.
Er war geknickt. Er hatte den Tataren mitgebracht, um Zeugen zu haben, falls ich Mukutsch bekannt wäre; nun zeugte er auch, dass ich ihn nicht kannte. „Mögen sie gehen und ihrer Tscheka über den Misserfolg berichten. Diese Nummer ging nicht durch“, dachte ich.
Danach jedoch versuchte Mukutsch weiter, andere „Nummern“. Er fragte: „Wo sind Nikol Nikoghosjan, Mcho (Grigor Mchitharian)?“ – „Weiß nicht“, antwortete ich. „Aber ihr wart doch zusammen in Prag, wirst du wissen, wo sie jetzt sind.“ – „Weiß nicht“, antwortete ich, „ich habe Prag schon lange verlassen.“
Mit uns ging auch eine junge Ukrainerin namens Nadeschda Witaljewna spazieren, die nach Polen geschickt worden war, im Amt, aber zurückbeordert und inhaftiert worden war.
Mukutsch ging manchmal Arm in Arm mit ihr. Nadeschda begann, sich bei mir einzuhaken. Ich entfernte ihren Arm höflich und sagte: „Wir sind Gefangene, wir haben kein Recht, Arm in Arm zu gehen, zumal auch Ihr Ehemann in diesem Gefängnis ist.“
Eines Tages sagte Mukutsch: „Komm, lass uns korrespondieren. Ich gebe den Brief Nadeschda – sie gibt ihn dir. Du gibst ihn ihr – sie gibt ihn mir...“
- Wozu braucht es Korrespondenz, wenn wir uns hier treffen? Hast du etwas zu sagen, sag es und erhalte deine Antwort, - sagte ich und sah ihn scharf an.
Es war klar. Mukutsch wollte meine Handschrift in die Hand bekommen, aber damit bestätigte sich, dass er ein Spitzel war.
Also hatte die Tscheka Mukutsch Abarantz aus dem Gefängnis in Jerewan in das Isolator-Gefängnis von Jaroslawl verlegt, um mich in eine Falle zu locken; aber sie hatte sich geirrt: Ich wusste, was für eine bittere Frucht Mukutsch war. Bis heute fühle ich mich dem Sasunzi Artashes Stepanjan dankbar, dass er mich vor Mukutsch gewarnt hatte.
Eines Tages während des Spaziergangs kam Mukutschs türkischer Freund auf mich zu und begann wütend zu erzählen, wie die Daschnaken die Einwohner seines Dorfes Malbalikend massakriert hätten... Ich hörte schweigend zu, dann sagte ich: „Ich weiß von solchen Dingen nichts, ich habe in Frankreich gelebt.“
Ein anderes Mal, als wir vom Hofspaziergang in unsere Zellen zurückkehrten, stiegen Nadeschda und ich zu unseren Zellen im zweiten Stock hinauf; in diesem Moment ging unser alter Türhüter für einen Moment in eine Zelle, um irgendeine Anordnung zu machen, diesen Augenblick nutzend, küsste mich Nadeschda... Ich war verwirrt, aber der Türhüter kam heraus und wies uns auf unsere Zellen, ohne es zu bemerken.
In meiner Zelle dachte ich: War das auch eine der Nummern der Tscheka? Ist doch Nadeschda mit Mukutsch vertraut, und außerdem ist ihr Ehemann auch in einer dieser Zellen...
Als Mukutschs Versuche scheiterten, begann man, mich in den zweiten Hof zum Spaziergang zu führen. Die Gefangenen, die mit mir gingen, waren: Anna Abrikosova, die Schwester von Lenins Arzt Abrikosov. Sie hatte an der Universität Cambridge studiert, eine ungefähr 55-60-jährige Dame, eine sehr gebildete intellektuelle Frau, deren Gespräch eine Freude für mich war; sie war vertrauenswürdig. Sie bekam eine Zeitung zu lesen, gab sie heimlich mir, ich las sie in meiner Zelle und gab sie ihr am nächsten Tag zurück. Sie war bewandert in Englisch und Russisch; sie brachte mir sogar eine Reihe englischer Wörter bei, die ich damals nicht kannte. Sie erzählte von ihrer Inhaftierung:
- Ich kehrte aus England in meine Heimat zurück, um zu arbeiten, zumal mein Bruder Lenins Arzt gewesen war; es wäre mir nicht in den Sinn gekommen, dass ich ins Gefängnis käme. Eines Tages, es war 1923, wurde ein Botschafter der Sowjetunion in der Schweiz ermordet, namens Woronski. Wir hatten keine Nachricht. Einige Dutzend von uns wurden in Moskau inhaftiert; ungefähr zwanzig Menschen wurden als Konterrevolutionäre erschossen, als Antwort auf den Terror. Auch ich wurde zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt; siehe da, ich sitze seit fünf Jahren... Sie werden sehen, was für ein Regime das ist, - beendete sie.
Unter den Mitgehenden war auch ein älterer Arzt, ein ernsthafter Mann, der wenig sprach. Er war vertrauenswürdig.
Ein anderer älterer Mann, von zwergenhafter Statur, korpulent, mit kahlem Kopf und einem langen, bis zur Brust reichenden, schneeweißen Bart, war ein Russe namens Wasnesenski, sehr gottesfürchtig und religiös, der einem kaum zwanzigjährigen russischen Gefangenen Theologie und Religion predigte. Dieser Junge war ein gutmütiger Bursche, verliebt, als man ihn inhaftiert hatte; schließlich wurde er im Gefängnis verrückt und rief „Ewerin, Ewerin“.
Der Fünfte war ein Chinese namens Tchan-Tchin, der nahe der mandschurischen Grenze verhaftet worden war. Ich gab Tchan-Tchin Tabak, und er flickte mir meine Socken mit Fäden, auf sehr feine Art, wie es den Chinesen eigen ist. Es gab auch einen tatarisch-stämmigen Russen, von dem wir spürten, dass er keine gute Seele war; wir sprachen nicht mit ihm, deshalb holte man ihn nicht mehr zu unserer Gruppe heraus.
Die Zeitung, die Anna Abrikosova mir gab, las ich heimlich in meiner Zelle in etwa einer halben Stunde, bis zum letzten Buchstaben, dann hatte ich nichts zu tun, setzte mich und rezitierte auswendig die vielen Gedichte und Poeme, die ich kannte: Howh. Tumanejans „Anusch“, „Die Einnahme von Tmbkaberd“, „Die Totenmesse“ zum Gedenken an die eineinhalb Millionen armenischen Märtyrer, die von der Hand des mordenden Türken massakriert wurden, Derenik Demirtschjans Gedichte „Die Uhr“ und „Der Mast“, aber vor allem Lord Byrons Poema „Der Gefangene von Chillon“, das Howhannes Tumanjan wunderbar übersetzt hat. Es entsprach vollkommen meinem Zustand als Gefangener, hier das Vorwort des „Gefangenen von Chillon“:
„O Freiheit, du ewiger Geist,
In Kerkern strahlst du herrlichlich,
Dort, wo die Hoffnung Wohnung nimmt
Und nur deine Liebe kennt.
Und wenn deine Söhne, von der Kette geschlagen,
In lichtlosen Kerkern gemartert,
Das Vaterland preisen –
Verbreitest du dich mit den Flügeln des Windes!
Chillon, dein Kerker ist stets ein Heiligtum,
Und dein trauriger Boden ein Altar,
Dort litt Bonivard vielfach,
Hinterließ Spuren auf den Steinen.
Und mögen sie stets unauslöschlich bleiben,
Die aus der Tyrannei zu Gott! rufen.“
Ich war auch so viel in meiner schmalen Zelle gelaufen, dass meine Füße Spuren auf dem Boden hinterlassen hatten.
Ich verspürte dringenden Bedarf, Bücher zu lesen; ich schrieb ein Gesuch an die Gefängnisverwaltung.
Glücklicherweise erlaubten sie es, unter der Bedingung, dass ich den Preis der Bücher bezahlte; mein kleines Geld war bei ihnen. Ich stimmte zu und verlangte einen Bücherkatalog. Es gab interessante Studien: 1) Die Studie des Akademiemitglieds Ossipow „Über die Vereinigten Staaten von Amerika“, 2) Eine Studie mit dem Titel „Japan“, ein großer Band, 3) Eine großbändige Studie über den anarchistischen Theoretiker und Aktivisten, den berühmten Bakunin, von Wasnesenski, alle auf Russisch. Die Preise waren billig, sowjetische Veröffentlichung, außer dem Buch „Japan“, das eine Veröffentlichung aus der Zarenzeit war.
Zuerst las ich gründlich die Studie über Amerika von Akademiemitglied Ossipow, die sehr ernsthaft und sachlich war, mit statistischen Tabellen.
Bereits 1927 schrieb Akademiemitglied Ossipow, dass die Vereinigten Staaten sechzig Prozent des Papiers der Welt verbrauchen, dass sie sechzig Milliarden Goldmünzen in der Staatskasse haben, dass die Arbeitsproduktivität der Vereinigten Staaten sowohl in der Industrie als auch in der Landwirtschaft höher ist als in allen anderen Ländern, dass Amerika ein kapitalistisches Land ist usw.
In jenen Tagen hätte ich mir nicht vorstellen können, dass ich eines Tages als Aktivist-Redakteur in die Vereinigten Staaten reisen würde, wie es 1953 geschah, 25 Jahre später; und ich betrat die Vereinigten Staaten, nachdem ich mich vorher ausreichend mit diesem Land vertraut gemacht hatte.
Englisch lernte ich auch im Selbststudium in Amerika, mit Hilfe meines Französisch.
Dann ging ich zum Buch „Japan“ über. Der russische Autor (Name vergessen) war während des Russisch-Japanischen Krieges 1904-1905 Korrespondent einer russischen Zeitung gewesen, war den Japanern in Gefangenschaft geraten, hatte dort drei Jahre gelebt und es ziemlich kompetent studiert.
Ich wandte mich der Biographie des Anarchisten Michail Bakunin von Wasnesenski zu. Über Anarchisten – Kropotkin, Michail Bakunin, Italiener – Cafiero Carlo, Costa und Malatesta – hatte ich in Paris während meiner Studentenjahre viel gelesen und studiert. Nun war ich interessiert, welchen Ansatz die sowjetischen Theoretiker hatten.
Bezeichnend war Wasnesenskis Begeisterung darüber, dass er sagte: „Sehen Sie, Michail Bakunin war auch ein Befürworter der Diktatur des Proletariats.“ Jedoch führte Wasnesenski die Erklärung Bakunins über die Diktatur des Proletariats nicht vollständig an, die besagt:
„Das Prinzip der Diktatur muss sein, seine Existenz so schnell wie möglich ‚überflüssig und unnötig zu machen‘.“
Michail Bakunin war ein Gegner von Karl Marx' Theorien und hatte gegen Marx gekämpft.
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Nachdem ich die oben genannten Bücher und ein, zwei andere gelesen hatte, verbot man mir wieder, Bücher zu haben.
Diesmal beschränkte ich mich nicht nur auf das Auswendiggelernte; ich beschloss, die wichtigsten Daten der armenischen Geschichte endgültig auswendig zu lernen, indem ich sie aus meinem Gedächtnis wiederherstellte. Ich war Armenier, wir hatten die Armenische Frage – die von den Mächtigen der Welt ignoriert und verraten worden war, durch heimtückische Diplomatie; ich war Daschnake, dem gerechten Anliegen des armenischen Volkes ergeben. Folglich musste ich unsere Geschichte gründlich beherrschen. So wie ich mein Gedächtnis in meinen Schuljahren durch Auswendiglernen von Gedichten wiederhergestellt hatte, so musste ich auch die historischen Perioden und Daten wiederherstellen und gründlich auswendig lernen. Es war schwierig, weil ich keine Bücher zur Verfügung hatte, aber es war möglich. Deshalb greife ich heute, wenn ich Artikel schreibe, nie auf Quellen für Daten zurück; ich habe ein außergewöhnliches Gedächtnis, und viele bezeugen dies. Nur in einer Sache ist mein Gedächtnis schwach: Wenn ich ein Papier irgendwo hinlege, kann ich mich später nicht an den Ort erinnern... Das ist auch vom Gefängnis geblieben; gab es doch in der Gefängniszelle keine Möglichkeit oder Notwendigkeit, irgendeinen Gegenstand irgendwo hinzulegen, und weil ich zwei Jahre lang ununterbrochen in sowjetischen Gefängnissen war, wurde dieser Teil meines Gedächtnisses zerstört; das übergebe ich der Aufmerksamkeit von Psychologen-Ärzten.
DIE ARMENISCHE FRAGE. - Angesichts der Gleichgültigkeit der Großen der Welt rezitierte ich oft Derenik Demirtschjans Gedicht „Der Mast“:
„In den freien, wilden Weiten des Meeres,
Wo der Sturm sich vergeblich beklagt,
Liegt im Schoß der Wellen
Ein gebrochener, hoffnungsloser Mast.
Mal wirft er sich plötzlich empor,
Mal sinkt er wieder verzweifelt,
Und da das Leben zerstört ist,
Klagt er nun nicht mehr.
Sein Leben ist nun ein trauriger Scherz,
Mal hoch, mal runter, Tag für Tag,
Unten ist er vergebens, müde, allein....“
Das war symbolisch die Armenische Frage: ein Mast, gebrochen, den Launen der tosenden Wellen überlassen...
Und meine Tränen flossen; dann ergriff mich eine Wut gegen die Mächtigen und Ungerechten der Welt; ich wurde in meinem Glauben bestärkter, dass eines Tages das gemarterte armenische Volk zu seinen gerechten Rechten gelangen würde, und ich war bereit, alle zum Kampf aufzurufen...
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Der Winter nahte, ich hatte weder warme Kleidung noch eine Decke (meine Decke hatte ich in Metech meinem Kameraden Artashes Stepanjan aus Sasun geschenkt). Die dünne Gefängnisdecke (Odejal) würde mich nicht vor der Kälte von 40-45 Grad unter Null schützen, die Jaroslawl hatte.
Eines Tages erhielt ich plötzlich, unerwartet einen warmen Mantel, eine Mütze, Filzstiefel mit langen Schäften und einen Kuchen-Gebäck. Meine Mutter, ohne die Sprache (Russisch) zu kennen, wie war sie nach Jaroslawl* gelangt? (Später erfuhr ich, dass sie eine syrische Frau angeheuert hatte, die Russisch konnte und nach Jaroslawl gekommen war), tausende von Kilometern fern von Jerewan. Man gewährte mir keine Besuch mit meiner Mutter... Wieder verstand ich die Grausamkeit der Obrigkeit.
Ich kündigte einen Hungerstreik an, um dagegen zu protestieren, dass mir kein Besuch mit meiner Mutter gewährt wurde und mein Fall sich auch in einem unklaren Zustand befand. Den Kuchen, den meine Mutter gebracht hatte, legte ich auf das Konsolentischchen (an die Wand gelehntes Tischchen), ich rührte ihn nicht an.
Am 24. Januar 1930 hatte der Gefängnisdirektor mich rufen lassen; ich meldete mich. Der Gefängnisdirektor war im Rang eines Obersts, von kräftigem Körperbau, ein schwerfälliger Mann. Er begann, mich zu ermahnen, meinen Hungerstreik zu beenden. Ich sah, dass auf seinem Tisch ein Bild von Lenin stand, das Gesicht mir zugewandt. Ich weigerte mich, den Hungerstreik zu beenden. Als ich in meine Zelle zurückkehrte, dachte ich über das Bild Lenins nach; es war wohl der vierte Todestag, und der Gefängnisdirektor wollte nicht, dass ich an diesem Tag im Hungerstreik war. Aber ich hatte bereits angekündigt, dass ich fortfahren würde. Der Aufseher sah auch, dass der von meiner Mutter gebrachte Kuchen verschimmelt war, ich hatte ihn nicht angerührt.
Mein Hungerstreik dauerte achtzehn Tage, als man mir mitteilte, dass ein Untersuchungsführer aus Moskau kommen werde.
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Man rief mich zum Untersuchungsführer aus Moskau. Der Untersuchungsführer war eine Frau, namens Andrejewa, die Tochter des Sowjetfunktionärs Andrejew. Eine großgewachsene Frau mit grausamem Gesicht; sie fragte, woher ich in die Sowjetunion gekommen sei; ich antwortete: aus Frankreich.
- Sie sind ein französischer Agent, - sagte sie.
- Also ist jeder, der aus Frankreich kommt, ein französischer Agent? - sagte ich.
- Ja, das ist so, - antwortete sie.
- Haben Sie ein revolutionäres Gewissen und Beweise? -
- Wir wissen, - sagte sie.
- Wenn all euer Wissen so ist, tut es mir leid für euch, - sagte ich und stand auf, - mit solch unbegründeten Anschuldigungen haltet ihr mich jahrelang in euren Gefängnissen...
(Später, als 1937 die stalinistischen Säuberungen stattfanden, fraßen sie auch Andrejews Kopf, vielleicht zusammen mit ihm auch Andrejewas, die mich verleumdet hatte).
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Ich hatte eine gelbe Taschenuhr, die ich auf mein Tischchen legte. Während des Hungerstreiks hatte ich auch dort eine Halluzination. Ich lag da, meinen Mantel und die Filzstiefel an (ich hatte keine Decke, ich schlief in meiner Kleidung); plötzlich spürte ich, wie ein großer, schwarzer Hund, seine Pfoten auf meine beiden Seiten stützend, sich schwerfällig zu meinem Gesicht erhob; ich wies den Hund zurück, die Uhr erschien vor meinem Auge – es war drei Uhr; aber die Uhr lag in horizontaler Position auf dem Tischchen, als ich mich hinsetzte und auf meine Uhr schaute, es war genau drei Uhr... Wie hatte ich, liegend, die Uhr in horizontaler Position und die Zeit drei Uhr gesehen? Bis heute ist es für mich ein Rätsel; vielleicht lösen Psychologen dieses Rätsel.
Es war eine fürchterliche Kälte. Die Scheibe meines Fensters war gefroren, vereist; wenn ich manchmal zum Spaziergang in den Hof ging, zog ich meine Mütze von der Stirn herunter, weil der Frost wie ein Ring auf meine Stirn drückte; ich hatte Schnurrbart und Bart, die sofort Eis ansetzten; wenn ich in meine Zelle zurückkehrte, dauerte es ungefähr eine halbe Stunde, bis ich die Eisschollen von meinem Bart abriss. Meine Zelle war auch schon kalt, es gab angeblich eine Heizung, aber sie verbrannte meine Hand nicht, so wenig heizten sie.
Die Krähen von Jaroslawl – weiß und schwarz, großkörperig, hatten üppiges Gefieder.
Das ISOLATOR-GEFÄNGNIS VON JAROSLAWL hieß „Außerordentliche Abteilung der Allgemeinen OGPU (Tscheka)“. Dorthin schickte man Gefangene von außergewöhnlicher Bedeutung aus Moskau; man erzählte, dass in diesem „Isolator“ Lenins terroristische Sozialrevolutionärin, Fräulein Kaplan, gesessen habe; Lenin war verwundet worden, hatte gesagt: „Man soll das Leben tapferer Frauen schonen“, und Kaplan hatte man zu lebenslanger Haft verurteilt, dann hatte man sie in die Gefängnisse Sibiriens geschickt, wo sie in der Anonymität gestorben war.
Man hatte auch Leo Trotzki in den Isolator von Jaroslawl gebracht, dann hatte man ihn ins Ausland verbannt.
Ich hatte in der Zeitung gelesen, dass Trotzki, als er mit dem Schiff in Istanbul angekommen war, Mustafa Kemal eine Botschaft geschickt hatte: „Ich kam nicht aus freiem Willen in Ihr Land, Sir, sondern indem ich der Gewalt nachgab“, aber „Genosse Kemal“ hatte „Genosse“ Trotzki kein Asyl gewährt, deshalb war dieser nach Mexiko abgereist, um später dem Opfer eines von „Genosse“ Stalin geschickten Terroristen zu werden.
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Kriminelle Verbrecher waren in den sowjetischen Gefängnissen in Ehren; „Sie sind Opfer der vorherigen Gesellschaftsordnung“, so begründeten es die Bolschewiki. Und siehe da, in der Abteilung der Kriminellen neben unserem politischen Gefängnis fanden Vorträge, Aufführungen und Musikabende statt, um die Kriminellen zu erziehen, zu bessern; es gab spezielle „Besserungsheime“, um Diebe, Banditen, Mörder zu bessern.
Wenn für die Kriminellen ein Musikabend stattfand und die uns von ihnen trennende Tür unten für einen Moment geöffnet wurde, erreichten mich die Schallwellen der Musik... Ich schwelgte, denn es waren Monate her, dass mein Ohr einen Musikklang vernommen hatte. Musik ist eine internationale Sprache, die allen zugänglich und angenehm ist, während es doch die Internationalisten waren, die uns dieser Sprache beraubt hatten...
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Es war Anfang Februar 1930, als sie kamen, um mich aus dem Isolator-Gefängnis von Jaroslawl nach Moskau zu bringen. Zuerst wollten sie mir den Bart scheren, der gewachsen war, ich ließ es nicht zu; sie richteten ihn nur. Diesmal setzte man mich in ein Personenfahrzeug, das gut aussah, mit zwei Tschekisten in Militäruniform bei mir.
Am Bahnhof von Moskau setzte man mich auf eine Bank. Ein verletzter junger Mann, auf einer Trage liegend, mit Verbänden, wurde gebracht und genau mir gegenüber abgestellt.
Ich war erstaunt, mehrere Militärs in Kleidung der zaristischen Gendarmen zu sehen, die häufig auf kleinen Mundpfeifen pfiffen. Plötzlich sah ich, wie der schwerverletzte junge Mann mit den Verbänden sehr munter aufstand und sich von der Trage entfernte. Auf dem Tragetuch war eine große, getrocknete Blutspur... „Eine Nummer (ein Spiel)“, dachte ich und nahm ein völlig gleichgültiges Aussehen an (es war eine Anspielung auf Mord, Terror). Dann brachte man mich in eine Zelle, wo drei russische junge Männer waren, auf dem Boden sitzend; ich setzte mich auch auf den Boden (es gab keinen Stuhl). Und siehe da, die russischen jungen Männer begannen, auf Russisch dreistöckig zu fluchen: „Er ist gekommen, um unsere Brücken zu sprengen, Fabriken in die Luft zu jagen, Sabotage zu organisieren... ich sein ...“.
Ich beobachtete und hörte mit gleichgültiger Miene zu, ohne ein Wort zu sagen. Ich sah, dass es eine neue „Nummer“ (Spiel) war.
Von dort setzte man mich in einen Personenkraftwagen der Tscheka, dessen Fahrer ein kräftiger Russe war, mit Handflächen so groß wie der Kopf eines kleinen Kindes... (bis heute steht es mir vor Augen). Er fuhr wie ein Wirbelwind und murmelte Flüche (Tscheka-Autos fahren immer sehr schnell und sind für Untergefahrene nicht verantwortlich). Ich sah, dass die Straße von russischen Frauen (Chachluschkas) mit großen Besen gereinigt wurde, ich war erstaunt.
Man brachte mich in ein Gebäude. Gefangene standen Schlange; ich stellte mich auch hin. Der untersuchende Tschekist hinter dem Tisch begann, einen nach dem anderen nach Namen zu fragen. „Bitonow“ (Blechbüchse), sagte einer. „Scharow“ (Heizung), sagte der nächste, „Pascharow“ (Brandstiftung), „Bombow“ (Bombe)... Es war mir klar, es waren Nummern (Spiele); ich war kalt und gleichgültig. Dieses Gefängnis hieß „Dom 14“ (Haus 14); in einer Zelle waren wir zusammengedrängt. Man brachte auch eine Gruppe von auf der Straße Verhafteten; es gab einen Armenier, ich fragte nach dem Grund, er sagte: „Draußen hörte ich Lärm, kam aus dem Laden, um zu sehen, was passiert ist, und mich verhafteten sie auch...“.
Ein russischer junger Mann erzählte von einem Vorfall, gebrauchte das Wort „Armjaschka“ (Armenierchen), das typisch für das zaristische Regime war, als Armenier verachtet wurden; und siehe da, in den Tagen der sowjetischen Macht dasselbe erniedrigende Wort...
Ein älterer Russe fror, er wollte ein wenig schlafen, ich legte meinen Mantel über ihn. „Sie sind sehr gut“, sagte er und schlief eine Stunde. Als er aufwachte: „Sie haben mich gerettet, sonst hätte ich in dieser Hölle nicht schlafen, mich erholen können“, sagte er.
Diese Zelle hieß „Peressylnyj Punkt“ (Übergabepunkt); von dort brachte man mich in das Gefängnis der „Lubjanka“, dessen Name Schrecken unter Gefangenen und Bürgern verbreitete, weil die meisten, die dorthin gebracht wurden, Kandidaten für die Erschießung waren.... Es war das Gebäude eines ehemaligen Hotels, das in ein Gefängnis umgewandelt worden war. Es waren sieben Gefangene; es gab einen großen, beeindruckenden Intellektuellen, um den etwa drei Personen waren, die mit ihm sprachen. Man wies mir einen Platz neben einem georgischen Gefangenen zu. Der Georgier begann vertraulich mit mir zu sprechen, als Landsmann aus dem Kaukasus. Er sagte, dass der ernsthafte intellektuelle Gefangene Werschinski heiße, ein berühmter Architekt sei, der nicht zugelassen habe, dass auf seinen Büchern der Slogan „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ gedruckt werde; nun habe man ihn und seine zweitausend Anhänger als Organisatoren eines „Staatsstreichs“ inhaftiert. Er war einer der berühmten Architekten der Zarenzeit und hatte viele Bücher geschrieben.
Unsere Zelle war dunkel; sie führten uns nicht zum Spaziergang hinaus, morgens früh brachten sie uns zur Toilette, die offen war; es gab einen kräftigen russischen Bischof bei uns, der sich auf die Toilettenöffnung setzte und „Herr, segne...“ sagte. Die anderen Russen ebenso. Ich, als Armenier, war schamhaft und hielt mich zwei Tage zurück, aber am dritten Tag gab es keine Möglichkeit, ich setzte mich auch... in Anwesenheit der anderen, die Schlange standen. Ich erinnerte mich an den Krim-Armenier im Tscheka-Gefängnis von Tiflis, der jedes Mal sagte: „Sie haben sogar die ... Toilette für uns verschont.“
In der dritten Nacht, nach Mitternacht um ein Uhr, kamen sie und riefen Werschinski... „Raschchod“... (ein Wort, das typisch für sowjetische Gefängnisse ist... bedeutet wörtlich „verbrauchen“, wird anstelle des Wortes Erschießung gebraucht...) flüsterten die Gefangenen.
Zwei Nächte später, um Mitternacht um zwölf, kamen sie und der Tschekist las meinen Namen vor, und zwar: „Ter Akonjan“... (die Russen haben nicht den Laut „h“, Ohanjan sprechen sie Oganjan aus, und „Agonija“ bedeutet Todeskampf).
- Also: Ter Agonija (das heißt: Herr Todeskampf....).
- Beeil dich, - sagte der russische Tschekist.
- Ich bin keine Maschine, - sagte ich wütend, und eine Entschlossenheit erfasste mich.
- Raschchod.... raschchod... flüsterten die Gefangenen, - er ist jung...
Ich ging mit dem Tschekist aus dem Gebäude; ein „schwarzer Rabe“ (das geschlossene Auto der Tscheka ist schwarz und das Volk hat es „Schwarzer Rabe“ genannt, was unheilvoll ist).
Der Eingang des „Schwarzen Raben“ ist von hinten, über Stufen; ein sehr enger Gang, dann eine Eisentür, innen stopft man die Gefangenen zusammengedrängt hinein.
Als ich die Stufen hinaufstieg und meinen Fuß in den engen Gang setzte, drückten sie mich in den Schrank auf der linken Seite und zogen die Tür zu... ich blieb in diesem Schrank eingeklemmt, auf den Füßen stehend. Das Auto begann, sehr schnell zu rasen.... Der Moment war kritisch, in meinem Ohr klang es: „Ter Agonija, Ter Agonija....“.
In diesem Moment erinnerte ich mich an Kristapor Mikajelian... Halte durch, halte durch, machte ich mir selbst Mut.
- Wenn ich hier lebend herauskomme, werde ich meinen Namen Amurjan (Der Dauerhafte) nennen, - dachte ich.
Der „schwarze Rabe“ hielt an; sie öffneten die Tür meines Schranks, ich solle aussteigen.
Als ich ausstieg, sagte der russische Tschekist hämisch:
- Na, wie war's, gut, nicht wahr?
Ich antwortete nicht. Diesmal hatte man mich wieder in das Butyrka-Gefängnis gebracht. Man brachte mich in eine Zelle – Nummer dreizehn.
„Dreizehn ist eine böse Zahl, bis zum Morgen können sie mich erschießen“, dachte ich und blieb bis zum Morgengrauen wach, bei jedem Fußtritt misstrauisch.
Es wurde hell... die Gefahr dieser Nacht war vorüber, mit nervöser Erregung; aber es gab die nächsten Nächte.
Tagsüber legte ich mich hin und schlief tief ein, meine Nerven waren zerrüttet. Das Mittagessen – Suppe mit Fischgräten – lehnte ich ab; ich verlangte vom Aufseher Trinkwasser; mein Herz brannte.
Ich kündigte erneut einen Hungerstreik an, trank aber Wasser. Ich war bereits an das Hungern gewöhnt, es war mein dritter Hungerstreik. Am dritten Tag begann ich, mit dem Fuß gegen den Deckel des Eimers zu treten und zu schreien. Der Deckel verbog sich.
- Der Gefangene ist ein stürmischer Kaukasier, hörte ich aus den Zellen, die zum Hof gingen, die Worte der russischen Gefangenen. Die Russen halten Kaukasier für hitzköpfige und aufsässige Menschen.
Der Aufseher öffnete meine Tür und sagte:
- Wissen Sie, dass wir einen Baschnja* (Turm) haben? Wir werden Sie dorthin bringen.
(*Pugatschowskaja Baschnja - Pugatschow-Turm, in dem der aufständische Russe Pugatschow festgesetzt worden war, den man später hängte, zur Zeit der Zaren.
Dieser Turm ist in der russischen Geschichte berühmt).
- Es ist egal, ob ich hier oder im Turm verhungere, Herr, sagte ich spöttisch.
Das Wort „Herr“ war für ihn beleidigend; ich sagte nicht „Towarischtsch“ (Genosse).
Und wie hätte ich „Genosse“ zu denen sagen können, die mich an die Pforte des Todes brachten.
Ich hatte im Gefängnis gehört, dass Hungerstreikende nicht erschossen werden, solange sie nicht aufhören.
Am vierten Tag rief man mich zur Vernehmung.
Ich setzte mich an einen Tisch, dessen Rückwand aus Brettern war.
Die Tür öffnete sich, herein kam einer, gekleidet wie ein zaristischer Gendarm (ihresgleichen hatte ich am Bahnhof gesehen, darüber schrieb ich auf vorherigen Seiten), mit glänzenden Stiefeln mit langen Schäften (Sapogi), an der Seite ein glänzendes schwarzes Lederpistolenholster, an der Hüfte ein Gürtel, ungefähr 40-50 Jahre alt, mit schönen Haaren, die zur Seite gekämmt waren, einer mit für Slawen typischem, hellgelbem Teint, fleischiger Nase, blauen Augen.
Seine Stimme war heiser, manchmal donnernd.
Er setzte sich, zog einen Fragebogen hervor. - Name - Nachname.
- Weshalb haben Sie einen Hungerstreik angekündigt? - fragte er.
- Wegen der Ungewissheit meines Status, - sagte ich.
In diesem Moment warf er seine Zigarette in den Papierkorb nebenan, der Korb fing Feuer... ich gab keinen Laut von mir (er wollte, dass ich aufschrie: Paschar (Feuer). Er löschte das Feuer mit dem Fuß, murmelte unter seiner Nase. Dann stand er auf, öffnete das Fenster, was nicht nötig war, es war kalt. Ich schwieg wieder, in dem Verständnis, dass dies Nummern waren.
Er setzte sich, begann, während er etwas schrieb, unter seiner Nase zu fluchen, mit russischem dreistöckigem Fluch. (Er wollte zu verstehen geben, dass ich angeblich geflucht hätte*... * Ich habe nie in meinem Leben die Angewohnheit zu fluchen, nur gegenüber Lügnern gebrauche ich das Wort „Stachan“, was „zur Lüge neigend“ bedeutet).
- Beenden Sie den Hungerstreik, - sagte er.
- Es ist zwanzig Monate her, dass ich sitze und mich von Gefängnis zu Gefängnis schleppe, in ungewissem Status; bestimmen Sie meinen Status, - sagte ich.
Er verkündete mit Donnerstimme:
- Entweder werden wir dich erschießen, oder wir werden dich in die Ferne schicken und dich bis zum Grabe verfolgen.
Als er sagte: „wir werden dich in die Ferne schicken“, hörte man in diesem Moment von hinter der Bretterwand ein Pferdewiehern... Ich war innerlich froh, denn das Pferd ist sowohl in Träumen als auch in Märchen ein gutes Zeichen.
Bis heute ist die Stimme des Untersuchungsführers in meinem Ohr.
- Wie ist Ihr Name? - fragte ich.
- Jakuschew, - sagte er laut.
Der Name kam mir bekannt vor.... Jakuschew, Jakuschew, wiederholte ich in meinem Gedanken, wo habe ich diesen Namen gehört, mein Gott.
Als ich in meine Zelle zurückkehrte, begann ich, mein Gedächtnis zu durchwühlen, und siehe da, plötzlich erinnerte ich mich: In der Zeitung der russischen Emigranten in Paris hatte ich einen Artikel des berühmten Sozialrevolutionärs Wladimir Lwowitsch Burzew* (* Wladimir Burzew hatte einunddreißig Spione der „Ochrana“ entlarvt; auch den berüchtigten Asew. Dann hatte er selbst Agenten in die „Ochrana“ eingeschleust. Er gründete die erste Tscheka in Paris) über den ehemaligen Spion der zaristischen „Ochrana“, dann zum Tscheka-Spion gewordenen Jakuschew gelesen. Als die bolschewistische Revolution in Russland stattfand, floh ein Teil der Agenten der „Ochrana“ nach Polen. Von dort schickte die „Ochrana“ Jakuschew auf geheimen Wegen nach Russland, um Verbindung zu halten, die Agenten der „Ochrana“ in Russland zu organisieren. Als Jakuschew russischen Boden betrat, sah er, dass er ins Netz der Tscheka geraten war.... Die Tscheka bot Jakuschew an: entweder ihr Agent zu werden oder erschossen zu werden. Jakuschew wählte das erste Angebot und wurde ein wichtiger Agent der Tscheka. Dann wurde er von der Tscheka nach Europa geschickt, zu Vizekönig Nikolai Nikolajewitsch, als Agent der „Ochrana“; der Vizekönig argwöhnte nichts, Jakuschew verriet der Tscheka alle Linien und Verbindungen der Monarchisten, organisierte sogar die Entführung des monarchistischen Aktivisten, des berühmten Kutepow, aus Paris.
Dieser Jakuschew war mein Untersuchungsführer...
Sorge: - Meine Anwesenheit im Moskauer Gefängnis hatte ihre eigenen Sorgen. Wie mochten es meine Kameraden draußen, waren ihre Zungen verschlossen? Meine Zunge ist verschlossen, aber ich weiß, dass auch sie nicht sorglos sind. Später, als ich im Gefängnis von Ortatschala in Tiflis war, erzählte mir meine Mutter während eines Besuchs, dass sie, als sie nach Moskau gereist war, um den persischen Botschafter zu sehen, bezüglich meiner Bitte, auch Vater Arsen Simonjan getroffen habe; dieser habe gesagt: „Gesegnet seist du, dass du einen solchen Sohn erzogen hast. Die Zunge ist verschlossen, wir sind alle in Sicherheit.“
Meine Mutter hatte sich auch an den Sohn ihrer Tante, Haik Bschischkjan (Gai), gewandt, der Dozent an der Militärakademie in Moskau war. Haik hatte versprochen, sein Möglichstes zu tun, um mir zu helfen, zumal er sich an mich aus Tiflis erinnerte.
Meine Mutter erzählte auch, dass, als sie im Handelsbüro der Aghamows in Moskau war und über meine Inhaftierung gesprochen wurde, ein Hntschake aus Täbris, Arakel Patmagrian, gesagt habe: - „Es ist richtig, dieser Daschnake hat viele Komsomolzen in Täbris niedergemetzelt....“ Die Aghamows hätten ihn ermahnt, dass man über einen Gefangenen nicht so etwas sagen dürfe. Derselbe Patmagrians jüngerer Bruder, Aschot Patmagrian, der in Paris den Spitznamen „Moskowiter Auge“ hatte, hatte dieselben Äußerungen über mich gemacht; mein Untersuchungsführer hatte keinen Namen genannt, aber denselben Ausdruck gebraucht wie sein großer Bruder.
In Täbris hatte es in der Schülerschaft der Diözesanschule von 1923 bis 1930 Auseinandersetzungen gegeben, während ich in diesen Jahren nicht in Täbris war, ich studierte bis 1928 in Europa, und von diesem Jahr bis 1930 war ich in sowjetischen Gefängnissen und konnte keine Komsomolzen verprügeln....
Am Morgen des siebten Tages meines Hungerstreiks kamen sie, teilten mir mit, ich solle meinen Hungerstreik beenden, man werde mich nach Tiflis schicken.
Es war Mitte März 1930. Wir fuhren mit dem Zug ab, begleitet von einem russischen Tschekisten und einer Wache. Im Abteil, in das man mich setzte, war ein russischer Zivilist mit seiner Frau und einem kleinen Kind. Das war ein gutes Zeichen, es gab keine Strenge. Ich hatte seit fast zwei Jahren kein kleines Kind mehr gesehen, ich tröstete mich, das Kind zu sehen, aber ich sprach nicht mit ihnen. Sie hatten auch verstanden, dass ich ein Gefangener war, sprachen nicht, aber manchmal warfen sie mir einen guten Blick zu. Ich hatte einen Bart, das war auch ein Zeichen, dass ich ein Gefangener war, abgemagert infolge des Hungerstreiks.
- Im Gefängnis der Tscheka in Tiflis brachte man mich wieder in eine der engen, krummen Gänge mit dunklen Zellen. Es gab zwei Georgier, einen Armenier namens Abowjan.
- Sind Sie aus Kanaker? - fragte ich.
- Ja, - antwortete er, - ich bin aus der Linie von Chatschatur Abowjan.
Er war ein etwa sechzigjähriger, weißhaariger, halb kahlköpfiger Mann von kräftigem Körperbau. Ich war von Respekt erfüllt.
Ich hatte keinen Tabak, er hatte welchen, ich hatte Handseife, er sagte: „Wenn Sie mir Seife geben, gebe ich Ihnen Tabak“, ich gab ihm meine Seife, Abowjan gab mir fünf Stück Tabak.
* * *
Man brachte mich zum Untersuchungsführer. Er war Armenier, namens Poghosjan.
- Wir werden Sie fotografieren, dann werde ich Sie nach Persien schicken, - sagte er mit Autorität, aber ließ mich seine Wohlgesonnenheit spüren.
Ich wurde fotografiert, mein Bild mit Bart klebte man später in meinen Pass (in Täbris ließ mein Schwager, Alek Saghinjan, nicht zu, dass ich dieses Bild zerreiße, ich habe es bis heute).
Als ich in die Zelle zurückkehrte, fragten die beiden Georgier, was passiert sei; ich sagte, sie hätten mich fotografiert und mitgeteilt, dass sie mich nach Persien schicken würden:
- Heute ist der erste April, sie haben dich getäuscht, - sagten sie....
Im Gouvernementsgefängnis von Ortatschala brachte man mich in eine Zelle, wo zu neunzig Prozent Kintos aus Tiflis inhaftiert waren; diese sahen, dass ich ein anderer Typ Mensch war als sie, sie setzten mich an das Kopfende der Zelle, auf die Pritsche. Einer von ihnen fragte: „Bruder, du bist nicht von uns, warum haben sie dich zu uns gebracht?“
- Lieber, ich weiß auch nicht warum, - sagte ich.
Mein Wort „Lieber“ gefiel ihnen sehr, und sie begannen, mir fortan Ehren zu erweisen, besonders ein Kinto namens Mukutsch, der ein guter junger Mann war. Wenn sie das Essen verteilten, brachten die Kintos zuerst meinen Teller zu mir, dann nahmen sie ihren.
- Was brauchst du? - fragte Mukutsch.
- Tabak, - sagte ich.
Sofort gaben sie mir den sogenannten „Machorka“-Tabak. Dieser Machorka ist der gewöhnlichste, aber weniger schädlich; es sind Tabakzweigstückchen, man muss sie in Papier wickeln und rauchen.
- Warum hat man euch inhaftiert? - fragte ich.
- Wegen Nalog (Steuer), sie legten so viel Nalog auf uns, dass wir nicht zahlen konnten, sie inhaftierten uns. Einige von uns sind Eier-, Gemüse-, Obst-, Fischverkäufer. (In jenen Jahren gab es noch Spuren der NEP – der Neuen Ökonomischen Politik; ab 1930 begann Stalins Politik der Kolchosen, und jeder privaten Initiative wurde ein Ende gesetzt).
Tagsüber brachte man die Kintos zur Arbeit. Ich fragte Mukutsch, was sie machten. „Wir arbeiten auf schwarzer Erde...“. Also gruben sie Erde.
Die Zelle war geräumig; abends tanzten und sangen die Kintos. Einer war da, der kein Kinto war, ihm vertrauten sie nicht, und in der Tat war sein Verhalten verdächtig, beim Singen brachte er unanständige Wörter hervor.
Meine Mutter kam zu einem Besuch, ich bat sie, viel Tabak vom Gefängnisladen zu kaufen, ich verteilte ihn an die Kintos als Rückzahlung meiner Schuld. Sie waren sehr beeindruckt und zählten mich bereits zu sich, besonders als ich sagte, dass ich in den Jahren 1917-1919, als ich in Tiflis war, Kinto-Bekannte gehabt hatte. Ich hatte auch Gabriel Sundukjans Stück „Pepo“ oft im Künstlerischen Theater gesehen.
„Er ist ein gebildeter Mensch“, sagten die Kintos zueinander.
Die angenehmen Momente während meiner Haft waren die mit den Kintos.
Dann brachte man mich in eine geräumige Zelle, allein. Sie führten mich auch nicht zum Spaziergang hinaus. Es gab auch keine Pritsche, ich lag auf dem Boden; diesmal ließen mich die Mäuse auch nicht in Ruhe, ich sah eine Art Maus, die erstaunlich war: die Zehen an ihren Pfoten hatten kleine Kugeln.
Gefangene aus freien Zellen öffneten oft das Türfenster meiner Tür, schauten hinein, manchmal machten sie auch Äußerungen, es schien, dass unter ihnen Spitzel waren.
An der Wand gegenüber meiner Tür stand geschrieben: „Mara, mein Liebling....“. Ich hatte eine serbische Freundin namens Mara in Paris, das war ihr Name. Also hatte man mein Leben in Paris ausspioniert.
Ein anderes Mal, als meine Mutter Essen gebracht hatte, hatte sie es in auf Russisch gedrucktes Papier eingewickelt; ich las: „Knjas Jegor Melik Wardanjan...“ Knjas bedeutet Fürst, Adliger... Meine Mutter verstand kein Russisch, glücklicherweise hatten die Georgier, die das Essen untersuchten, es auch nicht gelesen; ich riss es entzwei. Jegor Melik Wardanjan war der Sohn des Bruders meiner Mutter in Tiflis, in der Vergangenheit war er reich gewesen; er hatte ein Haus und einen Garten in Tiflis, die Bolschewiki hatten sie beschlagnahmt, ihm ein Zimmer gegeben. Ich warnte meine Mutter, diese Papiere nicht wieder zu benutzen.
Eines Tages kam meine Mutter, in Schwarz gekleidet, ich erschrak, es stellte sich heraus, dass Jegor gestorben war. Als ich in Jaroslawl war, hatte Jegor mir ein Päckchen mit Essen als Geschenk geschickt, aber ich erhielt es nicht. Er liebte mich und nannte mich „Bruder Andrè“, ich ihn „Bruder Jegor“.
Ein anderes Mal verschwand das Paket, das meine Mutter gebracht hatte, im Gefängnis; ich meldete es, der georgische Gefängniswärter brachte es, zeigte es Stück für Stück, ich bestätigte, dass es meins war, er nahm es mit, und ich erhielt meine Sachen, die gefunden worden waren, nicht wieder....
Im Gefängnis von Ortatschala war Alexan Howsissian aus Musch; er sagte hinter meiner Tür, dass man ihn, als er aus Polen zurückkehrte, als Spekulanten festgenommen habe, man werde ihn nach Persien schicken. Ich sagte, man habe mir auch gesagt, dass man mich nach Persien verbannen werde; er sagte: „Gott gebe, dass man uns zusammen verbannt, hier ist niemand, mit dem ich sprechen kann.“
Ich beschäftigte mich auch mit den Mäusen; ich fütterte sie und beobachtete ihre schnellen und scheuen Bewegungen.
* * *
Mit dem Zug brachten sie uns, fünf Personen – drei türkische junge Männer, Alexan Howsissian und mich – in das Gefängnis von Nachitschewan, mit Erdboden, ein Bretterboden auf mehreren dünnen hölzernen Säulen, auf dem wir unterkamen. Am nächsten Tag brachte man uns fünf in ein grenznahes Militärgefängnis, das „Pogranitschny Otdel GPU“ (Grenzabteilung der GPU) hieß.
Die Zelle war so eng, dass wir fünf nicht Seite an Seite liegen konnten – wir lagen quer, die Füße an die Wand gelehnt... Alexan fluchte. Ich warnte ihn, weil ich im Gefängnis gehört hatte, dass es manchmal vorkam, dass man jemandem sagte, er werde verbannt, und unterwegs ließ er Dinge aus seinem Mund, die Tscheka brachte ihn von der Grenze zurück und... erschoss ihn.
Als man uns hinausbrachte, um uns wegzubringen, schaute ich nach rechts und erstarrte. Der Ararat war vollständig sichtbar, auf seinem Gipfel ein großer Ring aus Wolken, durch den ein Sonnenstrahl auf den Berg fiel... Ich hatte Massis oft gesehen, aber diesmal war es völlig anders; er sah aus wie ein Trauernder, vielleicht weil ich Massis, den Geist Armeniens, zum letzten Mal sah. Wie ein trauriger Trauernder entfernte ich mich.
Das „Gefängnis“ von Dschulfa war genau wie ein Hühnerstall; die Wände aus Lehm, darauf eine dicke Schicht aus Erde und Staub; eine erhöhte Erdschicht zum Liegen, wenn wir die Wand berührten, rieselte dicker Staub herab.
Eines Tages brachte man uns zur körperlichen Arbeit; wir transportierten Baumstämme; Alexan fluchte: „Werden wir aus dieser Hölle befreit werden oder nicht?“
In der Nähe der Arax-Brücke gaben sie uns unsere Sachen zurück. Für unser bei ihnen verwahrtes Geld gaben sie uns ein großes Stück Papier, auf dem geschrieben stand: „Sie können innerhalb von sechs Monaten kommen, um es abzuholen....“. Wer war verrückt geworden, um nach sechs Monaten zu kommen, um seine paar Rubel abzuholen und in eine neue Falle zu tappen...
Sie gaben uns unsere Pässe nicht in die Hand; ein Tschekist ging mit uns bis zur Mitte der Arax-Brücke und übergab die Pässe einem persischen Beamten.
Von der Arax-Brücke bis zum persischen Dschulfa sind es etwa anderthalb Kilometer; es gab kein Transportmittel, wir packten unser Gepäck auf die Schultern und machten uns zu Fuß auf den Weg. Wir hatten keinen Kopeken, wir wussten nicht, was uns im persischen Dschulfa erwartete. Unterwegs sahen wir einen armenischen Händler mit seinem Sohn kommen, der nach russisch Dschulfa gehen wollte; Alexan sagte: - „Eh, das ist Tigran Gulojan, ich kenne ihn, ich werde mir Geld von ihm leihen“ und ging hin.
Herr Tigran, ich bin Alexan Howsissian, du kennst mich; sie haben uns an dieses Ufer verbannt, wir haben kein Geld, leih uns ein bisschen Geld, ich werde es dir in Täbris in Dollar zurückzahlen.
- Zu welchem Kurs, zu welchem Kurs? - fragte Tigran.
- Zum Tageskurs, - sagte Alexan.
- Nein, nein, er gibt uns keine Hand, er gibt uns keine Hand, - sagte Tigran und ging...
Als Alexan zu mir kam, sagte ich: „Hat es sich gelohnt, von so einem einen Kredit zu verlangen?“ „Ich dachte, er sei ein Mensch, der die Situation von uns Verbannten verstehen würde“, beklagte sich Alexan.
Im persischen Dschulfa meldeten wir uns in der Passabteilung. Der Beamte sah sich unsere Pässe und unsere Gesichter an und sagte: - „Einer Händler, der andere Student, die anderen Beamte. Jeder von euch muss vier Ghiran zahlen...“. Wir waren geknickt. - „Wir haben kein Geld“, - sagten wir. „Händler, Student, mit Schnurrbart und Bart, habt ihr kein Geld? Na, dann zahlt wenigstens jeder zehn Schahi“, - sagte der Beamte; „Wir haben nicht“, - sagten wir, da wir sahen, dass der Beamte mit unseren Gefühlen spielte. „Wah, ihr habt nicht einmal zehn Schahi? Für euch fünf macht das zwei Ghiran, zehn Schahi“, - sagte er. In diesem Moment sagte einer unserer türkischen Verbannten zum Beamten: „Agha, kennst du den Soundso in Täbris?“; der Beamte sagte: „Ja, er ist mein guter Freund“.
„Na, in diesem Fall leihen Sie mir zwei Ghiran, zehn Schahi, ich werde es Ihnen bestimmt von Täbris zurückzahlen“, - sagte der Türke.
Der Beamte widersprach nicht. Er griff in die Tasche seiner Weste, gab dem Türken zwei Ghiran, zehn Schahi, und der Türke zahlte ihn, wir erhielten unsere Pässe und kamen verschwitzt heraus.
Draußen trafen wir Ar, einen unserer exilierten Genossen, der Lastwagen benutzte; er erkannte mich, wusste, dass ich inhaftiert worden war, und bot an, mich mit seinem Auto nach Täbris zu bringen. Es war Rettung; nur musste ich noch das Telegraphenamt in Dschulfa aufsuchen, an unseren Schwager Alek Saginjan telegrafieren, der Leiter der lateinischen Abteilung des Telegraphenamts war, und ihm mitteilen, dass ich in Dschulfa angekommen und nun frei sei. So tat ich es, der persische Beamte im Telegraphenamt kannte Alek sehr gut, telegrafierte sofort kostenlos.
Ich ging und setzte mich auf den Beifahrersitz des Lastwagens von Ar, das Auto sollte in drei Stunden abfahren. Es war bereits Nacht, mondhell, ich schlief im Auto ein.
Die Stimme meiner Angehörigen weckte mich. „Hier ist Andrè“, sagte der geliebte Alek. Es war meine Schwester Siranusch und Herr Wagharschak Sakarian, die mit seinem Personenkraftwagen gekommen waren.
Hier, auf der Straße, bewegten sich meine angespannten Nerven und ich konnte mich nicht beherrschen, ich begann zu schluchzen. Die psychologischen Spiele im Gefängnis, besonders die niederträchtige Verleumdung durch Andrejewa, ich sei ein französischer Agent, hatten meinen Stolz verletzt. Aber andererseits war ich stolz, dass weder meine Genossen in Moskau noch ich etwas preisgegeben hatten, wir alle die heiligen Geheimnisse der Partei bewahrt hatten.
Erst 1937, also neun Jahre nach meiner Begegnung, als in der Sowjetunion die grausamen stalinistischen Säuberungen begannen, hörten wir, dass man unsere Genossen in Moskau – Smbat Chatschaturan, Arsen Schahmasan, Bagrat Toptschan und seine Frau, Frl. Helene Mezbojan – nach Sibirien geschickt hatte; Genosse Arsen Schahmasan war verrückt geworden, und die anderen verschwanden unter den grausamen Bedingungen Sibiriens, wurden Opfer des menschenfressenden Molochs des Bolschewismus. Auch die Genossen Korjun Gasasan, Tigran Awetisjan und Sahak Stepanosjan verschwanden in den Frösten Sibiriens... Sie alle waren keine gewöhnlichen Opfer, sondern Märtyrer, denn sie opferten sich für eine Idee; für die Rechte und die Freiheit des armenischen Volkes.
Ich war so eifersüchtig auf die Geheimhaltung der Partei, dass mir ein Gedanke des Zweifels kam: „Hat sich vielleicht Aserbaidschan sowjetisiert und sie haben mich hierher geschickt, um meine Geheimnisse hier zu erfahren... ich muss meine Genossen auf die Probe stellen.“ – dachte ich und war vorsichtig und zurückhaltend, wenn Genossen mich besuchten.
Eines Tages sagte mir Genosse Gaspar Jakobian:
- Unser Genosse Haikak Kosojan ist verrückt geworden. Er sagt, entweder Andrè berichtet uns über seine Mission, oder er soll dem Terror unterzogen werden...
Ich antwortete wütend:
- Gaspar, du bist ein alter Genosse der Partei, du hast eine Vorstellung von der Geheimhaltung der Daschnakzutjun; du weißt, dass in den Mündern unserer exilierten Genossen Reis nicht weich wird; ich kann hier kein Geheimnis preisgeben, der mich geschickt hat, war das Büro, dem auch ich Bericht erstatten muss. Wenn sie mich deswegen dem Terror unterziehen wollen, sollen sie es tun. Ich kann die Namen unserer Genossen im Land nicht nennen.
Gaspar stimmte mir völlig zu. Ich fügte hinzu, dass ich nur ihm, Gaspar, bestimmte Dinge unter vier Augen sagen würde, aber keinen Namen eines Genossen nennen.
Später teilte mir Gaspar mit, dass das Zentralkomitee das, was ich gesagt hatte, für völlig richtig befunden habe.
Wir verabredeten uns mit Genosse Gaspar in seiner Wohnung, im Viertel Lilawa, im Haus der Melik-Abrahamjans. Ich erzählte von den Gefängnissen, den Methoden der Tscheka, meiner Geheimhaltung und der Meinung der Genossen im Land: 1) unsere geheime, Untergrund-Organisation aufzulösen und 2) die armenischen Bolschewiki haben begonnen zu tun, was wir tun wollten. Ich sagte auch, dass ich keine Namen von Genossen nennen dürfe, nicht einmal ihm, Gaspar, sondern nur dem Büro. Ich sagte auch, dass die Bolschewiki eine große Aufklärung, Spionage haben; während die Daschnakzutjun keine hat, obwohl sie sie zur Selbstverteidigung und Sicherheit haben müsste. Ich erzählte, wie der Tschekist, der mich verhaftete, Mischa Aghamalow, mir gesagt hatte, dass er im Hof der Familie Genosse Mikayel Stepanjan gelebt und die Protokolle des Zentralkomitees gelesen habe. Gaspar war verwirrt. „Steh auf“, sagte er, „lass uns nachsehen, ob nicht jemand in unseren Kellern versteckt ist.“ Wir sahen nach, niemand war da.
(Später hatte die Daschnakzutjun in Täbris ihre eigene Aufklärung, ich leitete sie, und wir erzielten große und interessante Ergebnisse. Darüber werde ich an gegebener Stelle schreiben).
Meine Inhaftierung hatte zwei Jahre gedauert (vom 14. Juli 1928 bis zum 21. Juni 1930). Mein Schwager Alek hatte sechshundert Tuman für Telegramme und Gesuche zu meiner Befreiung ausgegeben. Wir hatten ein väterliches Haus im Viertel Gali Badan in Täbris; wir verkauften es für genau sechshundert Tuman und bezahlten unsere Schulden; Alek und sein Bruder Dsora Saginjan (armenischer Abgeordneter des Madschlis) hatten sehr in dieser Richtung gearbeitet. Auch in Moskau war der persische Botschafter Ali Goli Chan Ansari, der große Arbeit geleistet hatte, um mich als persischen Staatsangehörigen zu befreien. Wenn ich diese Staatsangehörigkeit nicht gehabt hätte, würde ich jetzt in sowjetischen Gefängnissen verrotten.
Die Brüder Schahgeldjan – Wahram, Lewon und Mihran – hatten eine Fabrik für Tabak und Seife namens „Mir“, sie stellten mich als Geschäftsleiter ein.
* * *
Die Kurden von Ararat waren im Aufstand; von der Daschnakzutjun war dorthin Instructor Artashes Melkonjan geschickt worden, mit dem von Salmast aus durch Genosse Samuel Mesropjan Verbindung gehalten wurde. Jedes Mal, wenn Samuel nach Täbris kam, sagte er: „Ich bin gekommen, um meinen Sack zu leeren“ und erzählte von den Vorgängen in Ararat; der türkische Staat gab täglich Tausende von Goldstücken für seine Armee aus und brachte Opfer, aber konnte den großen Ararat nicht belagern, die Kurden kämpften gut. Die Daschnakzutjun half mit Geld, Literatur und Ratschlägen, brachte keine Opfer, wie wir auf dem Zehnten Allgemeinen Kongress beschlossen hatten. Unser Vertreter in Hoibun in Syrien war Genosse Komitas (Wahan Papasan).
In jenen Tagen hatte der persische Ministerpräsident Teimurtasch verlangt, dass sich aus Täbris in Teheran einfinden sollten: der Diözesanprimas von Armenien in Aserbaidschan, Erzbischof Nerses Melik-Tangian, Samson Tadewosjan, Gaspar Jakobian, Waros Babajan (Vertreter des Büros), Chatschik Melkumjan. Sie reisten nach Teheran. Zuvor war Ruben (Ter-Minasjan), Mitglied des Büros, nach Teheran gekommen und hatte Haikak Kosojan und Samuel Mesropjan nach Teheran gerufen, wegen der Kurdenangelegenheit, und hatte sie eingestellt. Von dort an war Haikak Kosojan gegen Ruben aufgebracht....
Der Übersetzer bei Teimurtasch war Dsora Saginjan auf Französisch; Teimurtasch hatte von unseren Leuten verlangt, die Zusammenarbeit mit den Kurden einzustellen, und gesagt, dass Iran den kleinen Massis an die Türkei abtreten müsse... Unsere Leute hatten eingewandt, dass der kleine Massis militärstrategische Bedeutung habe und warum Iran ihn an die Türkei abtreten solle. Ministerpräsident Teimurtasch hatte eingewandt, im modernen Militärleben, wo Flugzeuge eingesetzt werden, welche Bedeutung habe da ein kleiner Massis...
Unsere Leute kehrten niedergeschlagen nach Täbris zurück und die Sache des kurdischen Aufstands war beendet.
Während dieser Vorgänge war Ruben eilig aus dem Iran abgereist, es bestand der Verdacht, dass er von Teimurtasch verhaftet werden könnte. Kaum zwei Jahre später wurde Teimurtasch von Reza Schah im neu erbauten Polizeigefängnis von Teheran inhaftiert.
Lewon Karachan wurde aus Moskau geschickt, um zu vermitteln, dass man ihn aus dem Gefängnis freilasse, aber es gelang nicht. Teimurtasch wurde, als sowjetischer Agent, in seinem selbst erbauten Gefängnis erdrosselt, als erster Gefangener....
Ich schrieb einen Brief an Ruben, in dem ich mein Erstaunen darüber ausdrückte, dass er nach Teheran gekommen war und mir keine Nachricht geschickt hatte, damit ich nach Teheran gehe und ihm über meine Tätigkeit in der Sowjetunion berichte, hatte er mich doch auf den Weg geschickt. Ich erhielt einen Brief von ihm, er schrieb: „Lieber Andrè, du bist ins Grab gestiegen und lebend herausgekommen; vergib mir, dass ich dich nicht nach Teheran rief, mein eigener Status war auch gefährdet, die Genossen werden es dir erzählt haben, ich war gezwungen, eilig abzureisen. Ich habe gute Gefühle dir gegenüber, setze deine parteiliche Arbeit fort.“
Ich hatte eine Artikelserie an unsere Tageszeitung „Husaber“ in Ägypten geschickt, deren Redakteur Genosse Wahan Nawasardjan war; der Titel meines Artikels war „Unter eisernen Fersen“, ich beschrieb das sowjetische Tscheka-Gefängnis in Armenien. Mein Artikel wurde mit großem Interesse in allen Kolonien gelesen; sogar in Täbris gewann „Husaber“ hundert Abonnenten hinzu. Wahan schrieb: „Andrè, mein Lieber, ich lese deinen Artikel nicht als Redakteur, sondern als begeisterter Leser.“ Ich erhielt auch einen Brief von Awetis Aharonean, der seine Freude über meine Befreiung ausdrückte und Bewunderung für den schönen Stil meiner Beschreibung. (Ich seinerseits war von Aharoneans Armenisch beeinflusst, das sehr schön ist).
Zur Schulzeit 1931 wurde ich zu einer Lehrerstelle an der „Zentralen Diözesanschule der Armenier von Aserbaidschan“ eingeladen, ich unterrichtete Armenische Sprache und Literatur, Armenische Geschichte, Allgemeine Geschichte und politische Ökonomie; ich liebte meine Schüler, verhielt mich höflich, und sie waren mir sehr verbunden, vertraut.
Im Falle von Unordnung in irgendeiner Klasse schickten mich die Lehrer hin, ich beruhigte die Klasse. Der Aufseher war Gaspar Jakobian, Lehrer waren Hajrapet Banirjan, Lewon Grigorjan und andere.
Die „Zentralschule“, eine weiterführende, gemischte Schule, hatte ein hohes moralisches Niveau, sie gab zahlreiche Lehrer und Aufseher an die persisch-armenischen Schulen ab. Sie war 1909 gegründet worden und wurde 1936 infolge der Schulverfolgungen geschlossen.
Die Beziehungen zwischen Lehrer und Schüler sind sehr süß, besonders im Leben, wenn man seinem ehemaligen Schüler begegnet, ist es, als ob man einem Verwandten begegnet.
* * *
In den Jahren 1932-33 wurde ich zum Mitglied des Zentralkomitees des Bezirks Wrezsch (Aserbaidschan) der A.R.F. gewählt: Genosse Waros Babajan, Haikak Kosojan und ich. Derselbe Haikak Kosojan, der vor zwei Jahren verlangt hatte, mich dem Terror zu unterziehen, war nun gekommen und saß mit mir zusammen. Im Zentralkomitee... war ich Sekretär. Der Minister für Aufklärung namens Hekmat (muslimischen, hebräischen Ursprungs) übte starken und groben Druck auf die armenischen Schulen und die Sprache aus.
In den Jahren 1932-35 wurde ich zum Vorsitzenden der „Kulturvereinigung“ von Täbris gewählt. Wir hielten regelmäßige Vorträge an jedem Dienstagabend; wir feierten die national-kulturellen Feiertage im Theatersaal, der etwa dreihundert Personen fasste. Wir bildeten eine Theatergruppe aus den vorhandenen guten Kräften.
Die Vereinigung hatte eine Bibliothek, ziemlich reichhaltig mit armenischen, russischen, französischen Büchern. Bibliothekar war Genosse Haik Jeganjan.
Die Tätigkeit des „Kulturvereins“ hatte die Bolschewiki aufgebracht; die Sowjets hatten von den persischen Behörden verlangt, den „Kulturverein“ zu schließen...
Als Oberst Seif mich rief und mir davon erzählte, wandte ich ein, dass wir keine politische Tätigkeit hätten, sondern eine kulturelle.
- Ich weiß, - sagte Seif, aber jene verlangen sogar von uns, sechsundzwanzig Daschnaken aus Aserbaidschan zu entfernen.... Aber wir wehren uns, denn ihr spielt die Rolle eines Bollwerks gegen den Bolschewismus; entfernen wir euch, sind auch wir verloren.
Das nächste Mal, als er mich rief, beriet ich mich mit dem Ehrwürdigen Melik-Tangian und beschloss, selbst vom „Vorsitz des Kulturvereins“ zurückzutreten und nicht die Vereinigung zu schließen. So teilte ich es Seif mit, dass ich bereits zurückgetreten sei. Mein Platz wurde von Genosse Chatschatur Grigorjan eingenommen, unter dem nur Tanz und Lotto erlaubt waren...
Meine Artikel „Unter eisernen Fersen“ und dann auch meine in Täbris aufgezeichneten „Erinnerungen an die Kukunjan-Expedition“ von Howsep Howsissian, die in den Jahren 1933-34 in der Bostoner Monatszeitschrift „Hayrenik“ erschienen waren, hatten meine Unterschrift A. Amurjan mir in der Diaspora, besonders beim Büro, bekannt gemacht. Auch als Mitglied-Sekretär des Zentralkomitees von Wrezsch.
Unsere Organisation im Bezirk Teheran war gespalten. Howsep (Bart) Johannessian kämpfte gegen das Zentralkomitee, dessen Mitglieder waren: Dr. Harutiun Stepanjan, Dr. Wartan Johannessian (auch Herausgeber der „Alik“), Stepan Chanbabean, Jegische Hoschchanjan und Hampartsoum Grigorjan. Das Büro hatte das Zentralkomitee aufgelöst und Howsep Johannessian suspendiert. Redakteur der zweitägigen Zeitung „Alik“ war Howsep Tadeosjan, der ebenfalls aufgelöst worden war.
Das Büro hatte als ernanntes Zentralkomitee für Mrgastan (Teheran und Zentraliran) die Genossen Grigor Mchitharjan, Mkrtitsch Hjanjan, A. Amurjan einberufen, sowohl als Mitglied des Zentralkomitees als auch als Redakteur der Zeitung „Alik“. Aber da ich bis Ende Mai 1936 Unterricht in der „Zentralen“ Schule hatte, konnte ich erst Anfang Juni nach Teheran reisen, deshalb hatte man bis zu meiner Abreise die Zeitung Jerwand Hajrapetjan übergeben. Herausgeber der „Alik“ war Mkrtum Mkrttschan, Besitzer der Druckerei war Ferdinand Simonjan; den Rechnungs- und Korrespondenzteil führte Genosse Tschatschat Poghosjan, auch die Korrektur der Zeitung.
1936 wurde die Zentrale Schule für immer geschlossen, ich reiste Anfang Juni nach Teheran ab. (ENDE)
In Prag meldeten wir uns im „Studencheski Dom“ (Studentenheim) an und man wies uns ein Wohnheim zu, das schäbig und voller Studenten war. Es handelte sich größtenteils um exilierte Russen und Ukrainer, die aufgrund der Revolution ins Ausland gegangen waren.
Die tschechoslowakische Armee hatte am Ende des Ersten Weltkriegs, nachdem sie die Wirren des russischen Bürgerkriegs durchquert hatte, über Sibirien die Tschechei erreicht und durch den berühmten intellektuellen Führer Masaryk ihre Unabhängigkeit erlangt. Die Exilorganisationen Russlands, ebenso wie die Führer der A.R.F., standen Masaryk nahe; das war der Grund, warum die tschechische Regierung etwa fünfundvierzig armenische Studenten auf ihre Kosten aufnahm.
Man teilte uns mit, dass jeder Student zwölf Dollar im Monat als Unterkunfts- und Verpflegungsgeld erhalten würde. Eine Wohnung sollten wir selbst anmieten, und essen sollten wir im Restaurant des „Studencheski Dom“, das sehr erschwinglich war.
Zuerst mieteten Hachnasarjan und ich gemeinsam ein Zimmer von einer älteren tschechischen Frau. Diese Wohnung war weit von der Universität entfernt, deshalb mietete ich mit Gaspar Jakobean, Hambardzum Grigorean und Baghdik Minasean ein Zimmer in der Nähe der Universität.
Im Restaurant stellten wir uns in die Schlange und zeigten auf das gewünschte Essen; später, als wir uns an die tschechischen Begriffe gewöhnt hatten, nannten wir den Namen des Gerichts.
Die obere Etage des Studentenhauses hatte Spielzimmer, am meisten zog uns Tischtennis an. Es war eine angenehme Atmosphäre; wir waren mit tschechischen und russischen Studenten freundschaftlich geworden, besonders mit einem großen Tschechen namens Hozhik, von schlichtem Charakter.
Die Prager Universität hatte auch eine russische Abteilung für Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, wo berühmte, aus Russland exilierte Professoren lehrten, unter ihnen auch der armenischstämmige Professor V. Totomianz, ein Spezialist für Genossenschaftswesen. Die anderen russischen Professoren waren Kizevetter – Historiker, Katkov – Spezialist für Römisches Recht, Struve und Kaszinsky – Wirtschaftswissenschaftler, Alexejev – Spezialist für Russisches Recht. Es gab auch Assistenten dieser Professoren.
Ich wählte die russische Abteilung, speziell mit wirtschaftswissenschaftlicher Ausrichtung. Aber die Prüfung in tschechischer Sprache war Pflicht; ich bereitete mich vor und bestand die Prüfung im sechsten Monat. Das Tschechische, als slawische Sprache, ist dem Russischen ähnlich, obwohl es eine eigenständige Sprache ist. Wer bereits Russisch kann, wird keine Schwierigkeiten haben, Tschechisch, Bulgarisch, Serbisch, Polnisch zu verstehen.
Die armenischen Studenten waren: Arshaluis Astvatsatrian, Ephrem Sargsean, Yervand Hairapetian, Gaspar Jakobean, Aharon Dadurian, Vahan Mirakhorian (dies waren die Älteren), Mushegh Tamrazian, Hambardzum Grigorean, Stepa Navasardian, Nikol Nikoghosian, Serozha Torosian (mittleren Alters), und die Jüngeren waren: Shavarsh Makarian, die Brüder Levon und David Melik-Dadayan, Babgen Rashmajian, Ashot Sahakian, Grigor Mkhitarian (Mkho), Nikol Badalian, Haik Asatrian, Baghdik Minasean, Haik Yeganian, Hovhannes Hachnazarjan, Gharibian, André Ter Ohanian, Martiros (aus Mush, einer der Waisen), Mkrtich Yeretzian, Onnik Devetian.
Wir hatten Abende mit Vorträgen und Gesprächen über politische Probleme; manchmal gab es Debatten, aber normalerweise waren unsere Beziehungen kameradschaftlich.
Haik Asatrian, mit dem ich in Etschmiadsin–Jerewan und dann in Täbris Freundschaft geschlossen hatte, war eine sehr eigenwillige Persönlichkeit; er hatte eine große Liebe zur Philosophie. Wenn ich bei ihm war, rezitierte er Deutsch wie ein lauthals Koranlesender, was mich sehr amüsierte. Er hatte gewisse Extreme gegenüber den Fehlern anderer; ich mäßigte ihn.
Zur unserer Verfügung stand sowohl eine reiche Bibliothek als auch die maschingeschriebenen Vorlesungen der Professoren.
Unser Kurs verlief reibungslos. Ich versäumte keine Vorlesung. Professor V. Totomianz tat mir sehr leid, weil er fast erblindet war; man brachte ihn, an der Hand geführt, in den Hörsaal. Er sah nicht auf seine Notizen, er dozierte.
Die Prüfungen des ersten Jahres bestand ich „sehr erfolgreich“; ich hatte viel gelernt und Notizen gemacht. Ich fühlte mich schwach, der Arzt riet mir, den Sommer aufs Land zu gehen. Ich sollte auch sagen, dass die Luft in Prag sehr verschmutzt war; Ruß, unendlich viel Ruß. Die Tschechen sagten, es sei die Politik der österreichisch-ungarischen Monarchie gewesen, Fabriken in Prag zu bauen, die Luft zu vergiften, damit das tschechische Volk physisch zugrunde gehe; und tatsächlich waren London und Prag in Europa für ihren hohen Prozentsatz an Tuberkulosekranken bekannt. Um das tschechische Volk vor einer großen Katastrophe zu retten, gründeten die tschechischen Führer den Sportverein „Sokol“, der großen Umfang und Berühmtheit erlangte.
Einige unserer Studenten bekamen Lungenschwäche und verließen Prag auf Anraten des Arztes. Genosse Hambardzum Grigorean war einer von ihnen; er reiste nach Paris, um dort sein Studium fortzusetzen.
Ich fuhr aufs Land. Das von mir gemietete Zimmer hatte den Nachteil, dass in seiner Nähe mit großem Lärm der Zug vorbeifuhr; ich sprang aus dem Schlaf hoch. Die tschechischen Bauern waren sanfte und liebenswürdige Menschen, aber nachts fanden auf unserem Hof Liebeleien statt; aus diesen beiden Gründen wechselte ich mein Zimmer.
* * *
Im zweiten Jahr meines Studiums, am 20. Dezember 1924, erhielten Genosse Gaspar und ich ein Telegramm an unsere Adresse, dass in Paris der 10. Allgemeine Kongress der A.R.F. eröffnet werde und wir beide von der Organisation Aserbaidschan gewählt seien, am Kongress teilzunehmen.
Gaspar und ich reisten nach Paris. Das Büro der Delegation der Republik Armenien befand sich in der Avenue Kléber Nr. 71. Wir waren vier bis fünf Tage nach Kongressbeginn verspätet. Zunächst fanden die Sitzungen in ärmlichen, schäbigen Räumen statt; später zog man in die Räume der Delegation um, die repräsentativer waren.
Die Delegierten waren Avetis Aharonian und Alexander Khatisian von der Delegation der Republik Armenien, Dr. Hovsep Ter-Davtian von Obersten Gerichtshof der A.R.F., Aharon Sashekian, Shahan Natali und Manuk Hambardzumian aus Amerika, Dr. Armenak Melik-Barseghian, Hovhannes Amatuni (ich erinnere mich nicht, von wem), Vahan Navasardian aus Ägypten, Armen Sasuni vom Libanon, Mikayel Varandian, Ishkhan Arghutian, Karo Sasuni, Tigran Baghdasarian, Samuel Mesropian (mit beratender Stimme eingeladen), dann kam aus Konstantinopel Vahagn Krmoyan; aus Bulgarien kam ein Genosse, der kaum an zwei Sitzungen teilnahm und dann aus persönlichen Gründen abreiste. Jakob Kocharian als Sekretär mit beratender Stimme, Gaspar und ich aus dem Bezirk „Vrezh“ von Aserbaidschan mit entscheidender Stimme, dann die Mitglieder des Büros: Ruben Ter-Minasian, Simon Vratsian, Arshak Jamalian. Aus der illegalen Organisation Armeniens waren drei Personen gekommen: Gerasim Atajian (er war in Sangesur ein wichtiger Mitstreider von Nzhdeh gewesen), Artsruni Tulian und Mamikon, den man auf den Namen „Vardan“ taufte (scherzhaft sagten wir „Vardan Mamikonjan“). Die jüngeren, jungen Delegierten waren wir drei: Ashot, Mamikon und ich, 23-24 Jahre alt.
Zur ersten Sitzung waren Gaspar und ich verspätet; als wir eintraten, sprach – referierte – Ashot auf die Sprache des Kaukasusarmenisch; er beschrieb die Situation der Genossen im Land, die Verfolgungen durch die Tscheka, die schwierige wirtschaftliche und politische Lage.
Nach einem Gedankenaustausch erklärte Ashot aufgebracht:
- Das Land will konkrete Dinge von euch... Nicht Worte.
Danach hämmerte Ashot bei fast jeder Sitzung, wenn die Frage des Landes aufgeworfen wurde, diesen Punkt ein.
Gegenüber den Sowjets hatte die A.R.F. die Rolle einer loyalen Opposition angenommen, Kampf nur auf ideologischer Ebene; die Rote Armee sicherte in gewissem Maße die physische Existenz der Armenier in Armenien. Die A.R.F. war gegen einen Aufstand (der georgische Aufstand von 1924 wurde im Blut erstickt, ebenso der Aufstand der aserbaidschanischen Muganer 1926).
Die illegale Organisation im Land wurde aufrechterhalten, um den nationalen Geist im armenischen Volk wachzuhalten.
Der 10. Allgemeine Kongress der A.R.F. hatte historische Bedeutung dadurch, dass in die politischen Forderungen des Programms der A.R.F. die Forderung nach einem Freien, Unabhängigen Armenien aufgenommen wurde.
Eine andere wichtige Entscheidung war, dass die A.R.F. auf jede Weise die Organisationsarbeit in den armenischen Gemeinden unterstützen und sich dafür einsetzen sollte, da die armenischen Gemeinden nach dem Völkermord im April und dem Zusammenbruch der Republik einen unorganisierten Zustand darstellten.
Die dritte wichtige Entscheidung war der Vorschlag, einen „A.R.F.-Tag“ zu organisieren, den Genosse Shavarsh Misakian machte: „Jedes Jahr am 2. Oktober soll öffentlich der ‚A.R.F.-Tag‘ als Tag der Rechenschaftslegung für das vergangene Jahr gefeiert werden.“
Es gab Zusammenstöße von Ansichten bezüglich der Frage der Unabhängigkeit Armeniens, die in das Programm aufgenommen werden sollte. Die Genossen Mikayel Varandian, Ishkhan Arghutian und Manuk Hambardzumian befürworteten eine Föderation; es dauerte ziemlich lange, bis sie überzeugt wurden, zugunsten der Unabhängigkeit zu stimmen, die sie, wenn auch als fernes, so doch als endgültiges Ziel betrachteten.
Die Sitzungen des Allgemeinen Kongresses waren fast beendet, als aus Berlin ein Telegramm eintraf, dass Genosse Dro Berlin von Moskau aus zusammen mit Aramais Yerznkian erreicht habe. Die Frage wurde gestellt: Soll man Dro einladen oder nicht? Vahan und ein, zwei Genossen hatten Zweifel; es wurde eingewandt, dass der Allgemeine Kongress seine Arbeit beendet habe, wir könnten Dro nur anhören. Dro kam und berichtete über die Ansichten der Genossen im Land, über politische und organisatorische Probleme. Dort sah ich erstaunt, wie die Genossen im Land dieselben Ansichten äußerten wie unser 10. Allgemeiner Kongress. A.R.F.-Mitglieder, selbst wenn sie Tausende von Meilen voneinander entfernt sind, denken auf genau dieselbe Weise, weil ihr Ausgangspunkt das armenische Volk und die armenische Heimat ist.
Bei Dro war Genosse Hrach Papazian, der an terroristischen Akten gegen türkische Persönlichkeiten beteiligt war, und Dro war, oh, ein alter, berühmter Terrorist.
Dros Abreise aus Moskau ins Ausland war von dem bekannten kommunistischen Aktivisten Ordschonikidse ermöglicht worden, der mit Dro persönlich befreundet war.
Nach Dros Bericht hatten wir keine Zweifel mehr an ihm.
Vor Dros Ankunft hatte bereits die Wahl stattgefunden. Bei der Abstimmung wurden gewählt: Simon Vratsian, Arshak Jamalian, Shavarsh Misakian, Shahan Natali (von der amerikanischen Organisation war es eine Bedingung, dass ein Mitglied des Büros einer ihrer Delegierten sei; es gab auch die Tatsache, dass Natali Mitglied des Geheimkomitees war). Dann wurde Ruben gewählt.
Nach der Wahl stand Simon Vratsian auf und machte folgende Erklärung: –
- Genossen, in der Vergangenheit ist zwischen mir und Genosse Vahan ein Missverständnis passiert, für das ich um Entschuldigung bitte. Genosse Vahan ist jemand, den man nicht nicht lieben kann...
Bei diesen Worten zuckte Vahan zuerst zusammen, dann sprang er von seinem Platz auf und umarmte Vratsian. Wir klatschten Beifall.
In diesem Moment stand auch Alexander Khatisian von seinem Stuhl auf und sagte: „Ich auch...“, aber der Satz blieb unvollendet; Vahan sprang von seinem Platz auf und rief: „Ich kann das Unmögliche nicht noch einmal tun“ und stürmte aus dem Raum....
Khatisian fuhr fort:
- Genosse Navasardian ist ein aufrechter Genosse, als in Alexandropol meine Kandidatur für das Bürgermeisteramt zur Debatte stand, kam Vahan zu mir und erklärte: ‚Ich werde dir meine Stimme nicht geben!‘. Ein solcher Auftritt ist schätzbar, während es andere gibt, die hinterhältig handeln.
Wir applaudierten auch Khatisian.
Die A.R.F. ist eine Familie, deren Mitglieder sich manchmal streiten mögen, aber wenn es um die Sache und die Idee geht, sind sie einmütige Mitstreiter.
* * *
Nach dem Abschluss des Allgemeinen Kongresses hatten die leitenden Genossen den Führer-Theoretiker der russischen sozialistisch-revolutionären Partei, Viktor Tschernow, eingeladen, über die Vorgänge in der Sowjetunion zu sprechen.
V. Tschernow war ein Mann von mittlerer Statur, mit einem Löwenkopf, welligem, nach hinten gekämmtem Haar, kurzem Schnurrbart und Bart, mit kleinen (schielenden) Augen, beeindruckend sowohl durch sein Äußeres als auch durch seine rednerische Begabung.
Er sprach über die trotzkistische Bewegung; nach Lenin betrachtete er Trotzki allen anderen Führern haushoch überlegen; er sagte einen großen Kampf nach Lenins Tod voraus (und so geschah es ja auch, insbesondere verfolgte Stalin sowohl Trotzki als auch später die anderen Führer).
Als er auf die exilierten Parteien zu sprechen kam, verwendete er den englischen Ausdruck „very dangerous“ (sehr gefährlich), erklärte die Gefahr der Kolonialisierung aufgrund der Trennung vom Mutterland und schloss, dass diese exilierten Parteien sich eines Tages, früher oder später, auflösen müssten.
Die Zusammenfassung dieses Vortrags von V. Tschernow erschien im „Husaber“ (Kairo), mit dem englischen Titel „very dangerous“.
In den folgenden Jahrzehnten lösten sich in der Tat die russischen Exilparteien auf, verschwanden. Im zaristischen Russland gab es sechsundfünfzig politische Fraktionen und Parteien, die sich alle auflösten, außer zwei: der bolschewistischen Partei und der A.R.F. Die Bolschewiki hätten sich auch aufgelöst, wenn sie nicht die Macht erobert hätten. Übrig blieb die A.R.F.
Im Falle der A.R.F. irrte sich V. Tschernow; erstens hatte das armenische Volk außer Armenien auch armenische Gemeinden; die A.R.F. hatte einen Betätigungsboden; als eine Partei der nationalen Idee fand die A.R.F. überall Akzeptanz bei den armenischen Massen. Nach dem Exil erholte und entwickelte sich die A.R.F. in den Gemeinden sogar noch mehr, indem sie breite Massen erfasste und das nationale Leben der Gemeinden organisierte.
Seit V. Tschernows Erklärung ist jetzt mehr als ein halbes Jahrhundert vergangen. Die A.R.F. ist in mehr als vierzig armenischen Gemeinden aktiv und strebt danach, die Freiheit und Unabhängigkeit des armenischen Volkes auf vereintem Territorium zu erreichen, denn die Diaspora hat keine Zukunft, das armenische Volk muss auf seinem heimatlichen Boden leben.
Armenisches Volk und Armenien, wenn ich euch vergesse, möge meine Zunge am Gaumen kleben.
Ich bin bereits reich, mein Reichtum ist meine Idee, meine Feder.
André Ter-Ohanian wurde am 14. November 1899 in Täbris geboren.
Seine Grundschulbildung erhielt er in der „Aramian“-Schule seines Geburtsortes, dann studierte er am „Georgian“-Seminar von St. Etschmiadsin.
Er schloss den Seminarlehrgang 1917 ab, in einer sehr schicksalhaften Phase des national-politischen Lebens des armenischen Volkes, als die Kaukasusfront in einem beunruhigenden Zustand war. 1918, als zur Verteidigung der gefährdeten Gebiete Westarmeniens die armenischen Landschutz-Regimenter organisiert wurden, meldete sich A. Ter-Ohanian in der studentischen Freiwilligen-Kompanie und reiste nach Karin ab. Infolge des jedoch im selben Jahr im März stattgefundenen Rückzugs ging A. Ter-Ohanian nach Sarighamish, Kars, Gharakilise, dann Tiflis über, wo er bis 1919 blieb.
Im Frühjahr 1919 kam er nach Täbris und widmete sich ab September desselben Jahres dem Bildungsbereich, als Lehrer für die Muttersprache. 1919-1923 gehörte er den Redaktionskollegien der Zeitungen „Ayg“ und „Arshalouys“ an und brachte seine aktive Teilnahme in die Parteiarbeit des Bezirks Aserbaidschan der A.R.F. ein.
1923 reiste er in die Tschechoslowakei und besuchte die Kurse der juristischen Abteilung der russischen Sektion der Prager Universität. Zwei Jahre später, 1925, ging er nach Paris, wo er die wirtschaftswissenschaftlichen Kurse der Sorbonne-Universität besuchte. 1925-28 arbeitete er für das A.R.F.-Organ „Droschak“ und für die Tageszeitung „Haratch“. In derselben Zeit war er der persönliche Sekretär des berühmten Schriftstellers Awetis Aharonian und knüpfte enge Beziehungen zu den zahlreichen intellektuellen Persönlichkeiten und bekannten nationalen und revolutionären Aktivisten, die sich in jenen Jahren in Paris aufhielten, insbesondere zu A. Aharonian und S. Wrazian, wobei er die Korrekturarbeit des Werks „Mein Buch“ des Ersteren und des umfangreichen Bandes „Die Republik Armenien“ des Letzteren übernahm. In denselben Jahren brachte er seine aktive Teilnahme in die begonnene nationale, kulturelle und parteiliche Arbeit in der französisch-armenischen Gemeinde ein und übernahm verantwortungsvolle Pflichten.
Im Juni 1928 reiste er über Moskau nach Jerewan, um nach Täbris weiterzureisen. Während der Reise wurde er jedoch verhaftet und einer Inhaftierung unterzogen. Zwei Jahre später, am 21. Juni 1930, wurde er aus der Haft entlassen und kam nach Täbris.
1931 wurde er zu einer Lehrerstelle an der Zentral-Diözesan-Schule von Aserbaidschan eingeladen und brachte gleichzeitig seine allseits geschätzte Teilnahme in das nationale kulturelle und parteiliche Leben von Täbris ein. 1932-35 übernahm er den Vorsitz des Kulturvereins von Täbris, der eine wichtige Rolle in verschiedenen Bereichen des kulturellen Lebens vor Ort spielte.
Am Vorabend der Schließung der armenischen Schulen, die auf Anordnung von Reza Schah erfolgte, wurde André Ter-Ohanian mehrmals verhaftet und für einige Monate inhaftiert. Nach der Schließung der Schulen, was er nicht gleichgültig hinnehmen konnte, unternahm André die geheime Unterrichtung der armenischen Sprache und erstellte im selben Zug ein neues armenisches „Alphabet“-Buch, ließ es heimlich drucken und verteilte es in den Provinzen.
1936 wurde André Ter-Ohanian eingeladen, für die Redaktion der „Alik“ zu arbeiten, und ein Jahr später, 1937, übernahm er die Pflichten des Redakteurs derselben Zeitung. Im September 1942, während des Zweiten Weltkriegs, trat er aus von seinem Willen unabhängigen Gründen von der Redaktion zurück und widmete sich literarischer und verlegerischer Tätigkeit. Er erstellte und veröffentlichte Handbücher für die Muttersprache sowie veröffentlichte die Reihe „Nor-Aghpiur“ von Kinder- und Jugendlesebüchern in Zusammenarbeit mit dem Dichter Wostanik.
Am Vorabend der Teheran-Konferenz im Herbst 1943 – die im November desselben Jahres mit Teilnahme von Churchill, Stalin und Roosevelt stattfinden sollte – wurde André Ter-Ohanian auf Verlangen der sowjetischen Botschaft von der Teheraner Polizei verhaftet, unter einer unbegründeten Anschuldigung, dass er ein Attentat auf Stalin organisiert haben sollte. Als Saed Ministerpräsident des Iran wurde, forderte die Botschaft der Sowjetunion in einem Brief die Auslieferung Andrés an die sowjetische Macht. Diese Forderung wurde damit begründet, dass André Ter-Ohanian angeblich einer Person namens Aschdar Geld gezahlt und ihr die Pflicht übertragen habe, Stalin zu ermorden. Nachforschungen ergaben später, dass dieser sogenannte Aschdar zum besagten Zeitpunkt in einem Gefängnis in Ägypten gewesen war. André wurde nach etwa 20 Monaten Haft freigelassen.
Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis machte sich André Ter-Ohanian wieder an die Verlagsarbeit und veröffentlichte auf das „Alphabet“-Buch folgende Lehrbücher der armenischen Sprache.
1949 redigierte und veröffentlichte er die Monatszeitschrift „Armenouhi“ und brachte gleichzeitig seine Teilnahme in das nationale-öffentliche und bildungsmäßige sowie kulturelle Leben Teherans ein. 1950-52 war er Vorsitzender des „Ararat“ Kulturvereins und amtierte ein Jahr lang in der „Davtian Kushesch“-Schule als Lehrer für die Muttersprache.
1953 wurde er in die Vereinigten Staaten eingeladen, als Parteifunktionär des Kalifornien-Bezirks der A.R.F. und Redakteur der Zeitung „Asbares“. Bis 1969 (mit einer einjährigen Unterbrechung) bekleidete er dieses Amt und entfaltete eine aller Anerkennung würdige Tätigkeit. Während dieser 16 Jahre brachte er seine aktive Teilnahme in das nationale, kulturelle und parteiliche Leben des Kalifornien-Bezirks ein, gab insbesondere der Blüte der „Asbares“ Impulse und unterstützte die Gründung eines neuen Zentrums derselben Zeitung. Seine moralische Unterstützung brachte er auch anderen Unternehmungen bei: dem Armenischen Altersheim in Fresno, dem „Ferahan“-Schule in Los Angeles und dem Bau von Clubs und Kirchen in anderen Städten, allen Unternehmungen der A.G.B.U. und den Bau- und Erhaltungsarbeiten der Einrichtungen, die in Fresno, Athen und Beirut mit der Spende der Wohltäterin Frau Sofia Jakobean gegründet wurden, sowie den in Kalifornien durchgeführten Sammlungen zugunsten der Mchitaristen-Kongregationen von Venedig und Wien in Antelias.
1965-66 dozierte er am Lehrstuhl für Armenologie der Universität Berkeley (Kalifornien) und erstellte für ausländische Studenten ein spezielles Handbuch in Ostarmenisch.
1969 studierte er das riesige Archiv der zaristischen „Ochrana“ im „Hoover Institute“ Kaliforniens und fasste die die armenischen Organisationen betreffenden Materialien zusammen und übersetzte sie (etwa 1100 Seiten), die wertvolle Quellen für die Geschichte unserer neuesten Periode sind.
1970 kehrte er in den Iran zurück und widmete sich der Bildungs- und Kulturarbeit.
1973 reiste er nach Boston und studierte das A.R.F.-Archiv, entnahm und klassifizierte historisch wertvolle Materialien, die sich auf die konstitutionelle Bewegung des Iran und das Leben und Wirken des Nationalhelden Jeprem bezogen, die er in drei Bänden zusammenfasste.
1972 wurde er zum Vorsitzenden des Verbands Iranisch-Armenischer Schriftsteller gewählt, und im Juni 1974 übernahm er die Pflichten des Redakteurs der „Alik“, gleichzeitig am Lehrstuhl für Armenologie der Universität Teheran dozierend.
Diese dreifachen Pflichten führte er mit aller Hingabe und Opfergeist weiter, im Namen der Verwirklichung der nationalen Ideale des armenischen Volkes und der Blüte der armenischen Schrift und Literatur.
André Ter-Ohanian gelang es, im Herbst 1978 als Tourist nach Armenien zu reisen und sein geliebtes Vaterland zu sehen.
Am 23. Mai 1976 wurde auf Initiative des Verbands Iranisch-Armenischer Schriftsteller sein 55-jähriges Wirkungsjubiläum gefeiert, unter der Schirmherrschaft des Diözesanprimas S. E. Erzbischof Artak S. Manukian und mit Teilnahme der in Teheran tätigen Vereine sowie Vertretern von Würdenträgern.
André Ter-Ohanian war eine der außergewöhnlichen Persönlichkeiten der Iran-Armenier. Er opferte sein Leben vollständig seinen Ideen und dem armenischen Volk. Er hatte sozusagen kein persönliches Leben und hinterließ ein großes Vermächtnis für die kommenden Generationen.
Hochachtung seinem Andenken.